Montag, 22. Oktober 2012

Unser Start in die Off-days


Endlich ist es wieder so weit. Wir brechen aus dem Kinder Paradies aus, rein in die harte ghanaische Realität...!
Unsere Fahrt beginnt früh morgens, es muss noch alles für den Abflug bereit gemacht werden, geputzt, gepackt und natürlich darf die ghanaische Ananas zum Frühstück nicht fehlen.
Wir fahren so früh los, dass wir nicht in den morgendlichen Verkehr kommen, morgens ab 7,8 Uhr scheint es, dass ganz Ghana nur in die Hauptstadt will, deshalb - wohl geplant - , starten wir um halb 6.
Im Dorf nehmen wir einen Trotro –  so langsam habe ich mich tatsächlich an den Zustand der Autos hier gewohnt und beginne die Fahrt mit einem Raunen an meine Mitvolontärin: „Wow, der hier ist wirklich luxuriös“. (Wir befinden uns zu 25. In einem großen Sprinter) Ich nehme dieses Statement sogleich wieder zurück, als der Mann von dem hintersten Sitz nach ein paar Metern schon wieder hinausgelassen werden will und den kompletten Trotro in Bewegung setzt samt mich und meinem 15 Cedi Rucksack und meiner sperrigen Tasche.)
Angekommen in der Hauptstadt ordern wir ein Taxi, denn bezüglich der Orientierung in der Hauptstadt Accra muss ich komplett passen - es gibt weder Straßennamen, die bekannt sind, noch eine schöne römisch geplante Stadtstruktur. Alles ist schnell, laut und ungeordnet.

Was ich aber weiß ist, dass ich jedem Taxifahrer etwas weniger als die Hälfte seines verlangten Preises anbieten darf. Ich muss mich dann aber auf ein ca. 5 minütiges Preisverhandeln einstellen. Beim Verhandeln, auch wenn ich null weiß, wohin des Weges, pokere ich hoch und fahre zuerst mit Argumenten wie „I know the place, it’s not far“ auf.  99,99% der Taxifahrer antworten jetzt „oh yes, it’s far, there is a lot of traffic at this time“ (Traffic ist IMMER in Accra). Jetzt werde ich ihm sagen, dass er mir doch bitte den Obibini-Preis sagen soll, dass ich schon a looong loooong time in Africa bin und ich bitte keinen Obruni-Preis mehr zahle. (Hochpokern ist immer gut und notwendig!)
Der Taxifahrer fängt nun an, hektisch mit den Händen um sich zu wirbeln.
Nein! Sicherlich nicht!
Es gäbe weder Obruni Preise, noch unfaire Preise. Ghana sei ein gerechtes Land with a lot of freedom! Jeder werde gleich behandelt, wir seien doch schließlich Brüder und Schwestern! Aber, wie solle er denn Benzin zahlen? (Diese letztere Frage kommt aber nur bei den äußerst harten Fällen vor, die durch Tränendrüsenstimulation monetarischen Vorteil erhaschen wollen)
Wenn er nach diesem sich in Rage redenden Sermon auf dem meinigen entgegenkommenden Preis immer noch nicht einwilligt, bleibe ich stur auf der Stelle stehen, entgegne, dass man so aber weder seinen Bruder noch seine Schwester über den Tisch zieht, ob das wirklich sein Ernst seie.
Wenn ich ganz viel Muse habe, laufe ich in angedeutetem selbstbewussten abweisendem Schneckentempo in die Fahrtrichtung und sage „Me daase“ (Danke auf Twi). Jetzt wird er sicherlich zu seinem Auto laufen, mir mit seiner rechten Hand zuwinken. Ich bleibe stehen, frage ob er es zu meinem Preis macht. Er winkt mir noch einmal zu, seinen Stolz nicht zu verletzen. Ich bleibe hart und frage noch einmal, ob er mir entgegenkommt. Er sagt nur „let’s go“. Ich will ihn nicht zwingen, sein ghanaisches Männerego an eine Obruni-Frau zu verlieren. Und so setze ich mich gutgelaunt ins Taxi, weil ich genau weiß, dass er immer noch das Geschäft seines Tages macht, alleinig das Geschäft der Woche ist ihm soeben entgangen...

Der Taxifahrer bringt uns über – das sehe sogar ich mit meinem orientierungslosen Blick – große Umweg durch die Reichensiedlungen zur gefühlt größten Trotro-Station Accras. Diese ist in 2 große Parkplätze eingeteilt, die sich noch weiter erstrecken, als wir überhaupt erfassen können. Für deutsche Genauigkeit; es stehen auf einem Parkplatz ca. 120 Trotros, die dann starten, wenn sie voll sind. Es gibt für uns keine ersichtlich geregelten Abfahrtszeiten.
Wir suchen eine Verkehrsinsel, da auf diesen meist alte Männer sitzen, die das Gewusel betrachten und es scheint, als würden sie jeden Trotro beim Namen, Kennzeichen und Besitzer, wichtiger aber noch beim Fahrtziel kennen. Kurios ist wirklich, dass die meisten Menschen genau wissen, welcher Trotro wohin fährt und wann er abfährt. Wie immer: Alle wissen es, nur kommuniziert es niemand (woher wissen sie es dann?! Und mehr noch: Wie können WIR das System durchschauen???)
Weiter im Text. Der alte Mann, der einem weisen Dorfältesten gleicht, schleust uns durch Marktverkäufer, Frauen mit zu verkaufenden hiesigen Waren (Mentos, Handyaufladekarten, sauberes Trinkwasser in Plastiktüten, Früchte, Plantainchips (!) und Teigwaren – zum Reinsetzen! ) und schreienden, sich anpreisenden Trotrofahrern, bis wir an dem richtigen Bus stehen, der auch noch in die richtige Richtung, in der nächsten Minute abfährt.
Es ist erstaunlich, wie wir doch eine Struktur in der riesigen Unordnung erahnen können!

Die Fahrt aus dem riesigen Gewusel geht mit einer Predigt einer Ghanaerin los. Ich weiß nicht, wer sie dafür autorisiert hat, sie sitzt neben dem Fahrer, somit erahne ich, dass sie vielleicht etwas mit ihm am Hut hat, vielleicht ist sie aber auch nur ein motivierter Fahrgast.
Sie beginnt mit einem Gebet auf Twi, worauf sie dann eine ca. 20 minütige Predigt aufbaut, die nach demagogischen Grundprinzipien der Rhetorik gehalten wird. Die Fahrgäste neben mir, samt den 15 anderen Fahrgästen in dem VW-Bus großen Trotro werfen in absehbaren Abständen ein zustimmendes „Amen“ oder „Praise the lord“ ein. Mir sind diese Leute und ihr Glauben an Gott und daran, dass wir trotz Schrottauto sicher in Koforidua ankommen sympathisch und mein mulmiges Gefühl verwandelt sich in Zuversicht.
Die Ghanaerin rechts neben mir - eine äußerst aktive Verfolgerin der Predigt – nutzt ihre Multitasking Fähigkeit aus und fängt mit ihrem alltäglichen Geschäft an. Sie scheint eine Schmuck-Marktverkäuferin zu sein. In einer Tüte befinden sich alle ihre goldnachgemachten Ketten, in der anderen Plastiktüte die Plastikaufhänger mit dem Logo der Billigfirma. Nicht vergessen: Wir befinden uns in Afrika, in dem aus Not alles multifunktional gebraucht wird; Diese Marktfrau benutzt den Plastikaufhänger der Ketten nicht nur als Plastikaufhänger, sondern auch als Zahnseide. Sie hat nämlich gerade das schleimige ghanaische Okru mit Banku in sich – wohl gemerkt auch aus einer schwarzen Plastiktüte – verschlungen, was ihr wohl noch zwischen den Zähnen hängt. In dem Hygienebewusstsein der Ghanaer benutzt sie also eine Aufhängung der anderen für je einen Zahnzwischenraum.
Mit grobsauberen Zahnzwischenräumen benutzt sie ihre Beißer auch noch, um die Aufhänger der Ketten zu öffnen und diese dann an die schon angeschlonzten Plastikaufhänger zu befestigen.
Zwischenerkenntnis des Tages: Kaufe niemals Schmuck auf dem Markt - Es könnte mit mikroskopischen Okru-Resten behaftet sein!

Um nicht weiter in Ekel zu verfallen konzentriere ich mich auf die Umgebung. Ich sitze zum Glück auf dem Schwerpunktplatz des Trotros und kann somit das Geschehen auf der vor uns liegenden Straße visuell kontrollieren – meine ich zumindest.
Sobald wir aus dem gestauten Accra hinausfahren kommen wir auch schon durch Savannen geprägte Dörfchen, weiter durch bergige Hügel, in dem man schon die nächste Vegetation erkennen kann. Wir entfernen uns von der Trockensavanne, hinein in den tropischen Regenwald!
Mir kommt diese Fahrt wie die hannibalische Alpenüberquerung vor, nur dass Hannibal sicherlich nicht in so einem Affentempo über die Alpen gerast ist.
Es fühlt sich ungefähr so an wie eine Silver Star-Fahrt im Europa-Park, auch wenn ich diese noch nie und in meine Leben nie fahren werde.
Der Trotro will naturgemäß kein Benzin vergeuden, jeder Schwung muss also ausgenutzt werden! Bei einem Abfall der – Gott sei Dank - geteerten Straße uns ausnahmsweise mal ohne Schlaglöcher(!) von 45°,gefühlten 80° muss er diesen Schwung natürlich ausnutzen, brettert wie ein Idiot hinunter und genau in der Minute geht auch wieder die Straße im 45° Winkel in einem Bogen himmelaufwärts, währenddessen ich nur bete, dass um die Ecke nicht noch einmal so ein Geisterfahrer uns entgegenkommt – er tat es nicht, deshalb kann ich diesen Eintrag noch schreiben.

Wir kommen sicher in Koforidua, eine Stadt mitten im tropischen Regenwald an.

Fortsetzung folgt bestimmt...

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