Montag, 15. Oktober 2012

Buschmusik?! oder die Musikalität der Ghanaer


In diesem Punkt kann ich dem Vorurteil, dass alle Afrikaner um den Busch tanzen und trommeln, zum großen Teil zustimmen. Nicht, dass sie hier wirklich in Adam-und-Eva-Bekleidung ums Feuer tanzen würden – davon sind sie weit entfernt und ich bin jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie zivilisiert und europäisch es trotz Allem hier zugeht – nein, es geht um die Musik!
Afrikaner leben mit Musik. Gibt es irgendetwas, was nur annähernd eine Klangfläche in sich birgt, so wird es sofort zum Trommeln benutzt.
Sobald ich aufwache, sei es um 4 Uhr morgens, und ich höre gerade jemanden am Wassertank Wasser holen; ich kann mir sicher sein, dass derjenige auf den buckets den Rhythmus eines mir jetzt endlich bekannten Liedes verklanglicht. Wenn es kein bucket ist, dann ist es die Tupperbox, eine Wasserflasche, oder Rohstoffe wie Hölzchen oder Steinchen, die sich aneinander reiben oder aufeinander schlagen, um einen harmonischen Laut entstehen zu lassen.
Aber auch wenn keine Materialien zur Verfügung stehen, was ja in Afrika tendenziell häufiger der Fall ist, der Ghanaer ist um die musische Kreativität nie verlegen.
Wenn ich die Kleinste hier bade – man bemerke sie ist 3 Jahre alt, schnalzt sie mit ihrer Zunge, formt ihre Lippen zu kussähnlicher Stellung und lässt rhythmische Laute von sich. Und wenn sie aus tiefster Seele heult, so ist die einzige Medizin, dass ich ihr ein Liedchen vorsinge (wobei ich nicht sagen will, dass das in Deutschland kein wertvolles Heilmittel ist).
Auch wenn sie nur dastehen, versüßen sie sich diese Minuten, indem sie kaum merkbar steppen und ab der Hüfte abwärts mit ihren Füßen schwofen.

Diese Musikalität kommt sicherlich nicht von ungefähr. Auch in so einem relativ zivilisierten Land wie Ghana, in der, um mit den Vorurteilen jetzt ganz pro Forma aufzuräumen, bis jetzt noch niemand (oder nicht mehr) um den Busch tanzt, haben sie sich diese Prägung beibehalten.
Es fängt früh morgens bei der „devotion“ an. Hier werden ca. 6 Lieder gesungen, immer verschiedene und kreativ aneinandergereiht, begleitet vom rhythmisch in die Hände klatschen. Die devotion ist sicherlich ziemlich auf das Kinderheim beschränkt und ich gehe davon aus, dass „normale“ Kinder nicht unbedingt morgens um 6 Uhr eine private devotion abhalten. Nichtsdestominder:  In der Schule geht es gleich weiter. Wenn es keine Parade gibt – von Trommeln begleitet versteht sich – dann gibt es morgens eine Stunde „worship“, man kann sich das ungefähr so vorstellen wie Lobpreis Sonntags in der Gemeinde, nur ohne Predigt. Wenn beides nicht, dann bleibt immer noch die Möglichkeit in den Klassen zu singen, was von ausnahmslos allen Lehrern angewendet wird.
Es kommt mir so vor, dass die einzige Beschäftigung im Kindergarten aus Singen zum Stockschlagen der  Erzieherin und auf Hänseleien des Nachbars „he beat me!“ zu schreien besteht. 
Nach der Schule gibt es in der Dining Hall essen. Hier gibt es in der Welt des Trommelns und für den geschulten Blick ein Paradies an Gelegenheiten, das immens hohe Trommelbedürfnis zu befriedigen. Auf dem Rücken des Nachbars, dem Plastikteller, dem Tisch, dem Bein, der Schöpfkelle...
Die nächste Gelegenheit wieder musikalisch in Aktion zu treten ist nach der Schule in der Abenddevotion, die ungefähr so abläuft wie die Morgendevotion, nur dass mehr gesungen wird und dazu auch mehr geklatscht. Abends sind die musikalischen Gemüter wohl wacher, denn jetzt wird der Rhythmus mehr abgeändert.
Hier erfolgt Kommunikation auf Ghanaisch: Alle wissen, wann der Rhythmus sich ändert, es wird nur nicht verbalisiert und die Weißen sind die letzten, die es mitbekommen...
Die Zeit zwischen Schule und Abenddevotion ohne Musik kommt auf dem Papier lang vor, sie wird jedoch mit persönlicher Würze gefüllt. 
In Ghana ist es normal, dass jeder ein Handy hat. Ein Jeder, der ein Mobiltelefon zur Verfügung hat läuft hiermit herum und  lässt Musik spielen (wie die Prolls in Deutschland) oder auch eine Predigt. Diese ähnelt mit unserem täglichen Erschrecken der Rhetorik der Reden eines Fidel Castros oder eines Mao Zedongs (um nicht das deutsche Pendant zu benennen).
Die 3 Lieblingsinterpreten der männlichen(!) Ghanaer (nebst den aktuellen RnB Charts):
1.     Westlife
2.     Backstreetboys
3.     Celine Dion
(für alle Interessenten: die aktuellen Charts in Ghana sind
- Keche: Aluguntugui
- Keche: Pressure
-Azonto Ghost)

Bemerkenswert ist gerade bei diesen nationalen Welthits, dass komplett jeder Ghanaer dieses Lied kennt und auch noch den Videoclip tanzen könnte. Ich könnte in der Hauptstadt beim Marktverkäufer anfangen und im ausgelegensten Dorf Prampram beim Dorfältesten aufhören!

Dazu wird die Musik einfach für jeden offen angeboten und gar nicht gefragt, wer welchen Stil im Moment in welcher Lautstärke begehrt. (Was in genervter Stimmung auch als Schattenseite der musikalischen Dependenz herausstellt, wenn man sich gerade im Internetcafé befindet und jeder Computer ein eigenes Lied in Affenlautstärke spielt)

Ansonsten bin ich begeistert, wie musikalisch die Kinder hier sind! Überall höre ich Summen oder Trommel und selbst die kleinen Rabauken, ca. 10, spielen Trommeln wie begnadete Rockstars. Um nicht die Tanzfähigkeiten auszuschmücken...
Sei das Lied, was wir ihnen beibringen oder mit ihnen singen rhythmisch noch so schwer, ist es eine Leichtigkeit für sie.
Die andere Volontärin, die ein paar Kindern Klavier beibringt, hat ihre größte Mühe mit den Noten und Notenbeschriftungen, jedoch nicht mit den übertriebensten Rhythmen, bei dem jedes deutsche Kind sicherlich ringen würde
Die Kirche gestaltet sich genau so wie der Alltag: 2/3 Musik, 1/3 Sonstiges. Es wird getanzt, gesungen, herumgelaufen, getrommelt, ins Mikrophon geschrien und die ganze Zeit durchgeklatscht.
Es ist die lebendige afrikanische Art, die selbst der verstockteste Europäer versteht und liebt bzw. lieben lernt. 

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