R.E.S.P.E.C.T! ist hier das größtgeschriebenste Wort
überhaupt.
Ich als 2.Hausmutter musste mich am Anfang erst einmal daran
gewöhnen, eine Respektsperson zu sein, eine Autorität und vor Allem mit „MaJudith“
angeredet zu werden..
Meine Rolle, die mir hier zugeteilt wurde ist nicht die
seichte liebe Volontärin zu sein, sondern die strikte Hausmutter, die schaut, ob
die Kinder ihre Pflichten verrichten, die Hausaufgaben richtig machen, respektvoll
mit Autoritäten, sowie ihren Geschwistern umgehen, sich richtig baden, Strafen
verteilt,...
Ich werde hier mit „Ma“ angeredet, die höchste Anrede für
eine weibliche Autorität in Ghana.
Es gibt eine klar strukturierte Hierarchie in Ghana, in der
die ganze Gesellschaft eingestuft ist. Es geht hierbei keinesfalls um Wissen,
Klugheit, Interessantheitsgrad, ... nein, es geht um das Alter (und um die
Hautfarbe – Weiße stehen prinzipiell höher, das kommt jedoch von den Schwarzen!)
Einem jüngeren Kind dürfte man mit der schmutzigen linken
Hand grüßen, bei einem älteren wäre das fast das Todesurteil.
Egal, was eine ältere Person sagt, sei es noch so hirnlos
und unsinnig (was für einen Effizienz orientierter Mensch hier sicherlich immer
ist) - es muss von Menschen, welche in der niederen Hierarchie eingestuft werden,
ausgeführt werden.
Noch mal zum Mitschreiben also, dass ich allein durch meine
Position, in die ich gestellt wurde (und sicherlich weil ich weiß bin), in der
Hierarchie über den Kindern stehe.
Noch grotesker ist das Detail, dass viele Kinder hier sogar
gleich alt wie ich oder ein paar Jahre jünger sind. Fakt ist, dass die Kinder
nie wissen dürften, dass ich zum Teil sogar gleich alt bin und sie mich
trotzdem mit „Ma“ anreden – aber das nur so am Rande.
Ich komme gleich zu dem „Plastikstuhl-issue“, ein gutes
Beispiel, um das Respektgefühl der Ghanaer zu illustrieren.
Es gibt Bänke für die Kinder, aber Plastikstühle für die
Hausmütter und Leiter. Sobald eine Hausmutter oder ein Volontär, d.h. ein
Mensch auf einer nächst höheren Hierarchiestufe den Raum betritt müssen die
Kinder aufstehen und ihnen den Platz freimachen bzw. einen Stuhl holen.
Am Anfang war das für mich eine große Umstellung. Wo ist der
Martin Luther King in mir? „Ich komme doch nicht nach Afrika, um mich über die
Kinder zu stellen“, waren da meine Gedanken.
Wer hier so durch das Kinderheim läuft, der fällt sofort auf
die Nase.
Es ist hier ein Zeichen von Respekt, den Stuhl zu bringen.
Die Kinder müssen in ihrer Respekt und Hierarchie geprägten Welt lernen, die
Hierarchien einzuhalten.
Nach 2 Monaten ist es für mich eher eine Beleidigung, wenn
die Kinder mir keinen Stuhl bringen und nicht aufstehen, wenn ich das Zimmer
betrete. Sie bringen mir somit den mir zustehenden Respekt nicht entgegen. Somit
erwarte ich förmlich, dass die Kinder mir den Sitzplatz freimachen, da ich,
wenn sie es nicht machen, weiß, dass sie mich und meine Stellung nicht genug
respektieren.
Es ist doch nur ein Stuhl?! Nein, es ist 90% Nonverbalität.
Für europäische Ohren hört sich das ziemlich komisch, ignorant
und selbstgefällig an. Ehrlich gesagt habe ich genauso gedacht! Was ich hier
jedoch gelernt habe bzw. lerne ist, dass es darum geht, die Kultur zu verstehen
und sich auf dieser anderen „Kultursprache“ zu verständigen.
Was ich mit diesem stuhlischen Detail veranschaulichen
möchte ist das folgende Groteske. In Deutschland wäre es mir total egal, bzw.
ich würde niemals auf den Plastikstuhl insistieren (auch wenn das Sitzen darauf
ungemein bequem ist...). Ich würde sogar anderen den Platz freimachen, wenn ich
könnte, aber nicht weil diese Person über mir steht und ich muss, sondern weil
ich WILL.
„Warum muss man denn die Kultur so mitmachen, sollte ich
nicht im Kleinen anfangen, das zu verändern -
besser als dass es niemand tut?“
Mal ehrlich: Wer bin ICH, dass ich eine jahrhundertelange
Tradition breche? Das Verhalten hat sich von den Stämmen der Afrikaner bis ins
21. Jahrhundert in die „zivilisierte“ ghanaische Welt gerettet. Ich könnte es
sicherlich ablehnen, den Kindern den Stuhl anbieten, bzw. nicht darauf
bestehen, dass sie mir den Stuhl geben, aber hier muss ich schon gleich wieder
fragen; wäre es wirklich gut? Aus meiner europäischen Sicht vielleicht, dem
Kind würde es sicherlich gefallen, sitzenzubleiben – wem auch nicht. Ich würde
mit ihm rumblödeln, nett reden,... Die
Konsequenzen wären jedoch fataler als gedacht. Würde dies öfters passieren,
dann würde das Kind abspeichern, dass die Obrunis, die Weißen, Jammerlappen
sind, sich nicht durchsetzen können, keine Autoritäten sind. Beim
Vorstellungsgespräch in Accra in 10 Jahren mit einem Obruni als Personalmanager
wird das Kind sich vielleicht erinnern, was es über Obrunis gelernt hat. Den
Job wird es dann sicherlich nicht mehr bekommen...
Sobald die Kinder das Gefühl haben, sie haben es mit einem
Waschlappen zu tun, schlagen sie wild um sich und machen genau das, was sie
wollen, was generell immer konträr zu dem steht, in welche Struktur sie
hineinpassen MÜSSEN, denn wenn ich nicht dafür sorge, dass die Kinder spuren,
tun es die Hausmütter und wenn ich es nicht tue, habe ich hier kein gutes
Leben...
Ich bin nicht hier dazu da, um die Kultur zu verändern,
sondern um den Kindern zu helfen. Das Schlimmste ist, dass die „Hilfe“ nicht in
unserem Sinne Hilfe ist. Ich dachte ich komme nach Ghana und habe eine schöne
Zeit mit den Kindern und im Gegenzug bin ich eine strenge Hausmutter?!
Doch helfe ich ihnen sicherlich nicht damit, wenn ich ihnen
zeige, dass es Schlupflöcher gibt, Autoritäten nicht zu respektieren. Und in
einer ghanaischen Welt da draußen, in die sie früher oder später kommen, müssen
sie hineinpassen und die Spielregeln im Schlaf können, um zu bestehen.
Ich kann ihnen nur im Kleinen zeigen, dass es andere Wege
gibt. Ihnen die harte Front geben, die sie gewohnt sind, aber z.B. trotzdem an
ihre Vernunft appellieren und nicht an ihren Gehorsam alleine. Zeigen, dass ich
sie in den Arm nehmen kann und gleichzeitig streng bin...
Was ich in Afrika lernen muss ist, dass MEINE Sichtweise die
Kinder und mich nicht weiterbringt. Es geht zum Einen darum sich kulturell
auszutauschen auch durch ein Volontariat immer ein Stück Europa dazulassen, es
gilt jedoch NICHT die komplette Kultur umzuwälzen, indem ich denke, dass ich
das Patentrezept habe (wobei das Nichturteilen mir ehrlicherweise trotzdem
schwer fällt).
Es sind ghanaische Kinder, die ghanaisch erzogen werden
müssen, denn wenn sie hier deutsch erzogen werden würden könnten wir sie gleich
nach Deutschland adoptieren.
Ich hoffe, ihr könnt mich etwas nachvollziehen, die
Gedankengänge, die ich hier durchgehe und hoffe, dass ihr mich jetzt nicht als
selbstverherrlichenden Stuhlfetischist anseht... Ich bin selbst überfragt.
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