Montag, 22. Oktober 2012

"K" wie Koforidua und Kakao


In Koforidua erscheint uns alles wie ein kleiner unrealistischer afrikanischer Traum.
Wir kommen an und wie es nicht ungewöhnlich ist rennt uns schon ein Taxifahrer dem Trotro nach, um die Obrunis durch Koforidua zu fahren. Aus Phobie des sich anstauenden Autoverkehrs willigen wir – ich eher missmutig – ein. Älle san se gloi! Schon wieder ein aufdringlicher Taxifahrer, denke ich mir.
Er hat jedoch ein schönes weißes Auto, mit dem ich mich für 2 Tage, die wir in Koforidua bleiben, anfreunden kann. Etwas ungläubig frage ich ihn, woher er denn dieses schöne Auto hätte. „From my brother!“ repliziert er. Ich würde ja gerne mal die ganzen Brüder der Ghanaer kennen lernen! In der Tat gibt es große Familien, aber generell hat JEDER Ghanaer einen ominösen „Bruder“, der ihm das Auto, das Handy oder die Wohnung besorgt. Die ghanaischen Brüder sind alle anscheinend sehr reich und gebildet und waren auch alle schon mal in Europa.
Ich hätte gerne auch so einen ghanaischen Bruder, der alles kann und hat...
Nichtsdestotrotz  frage ich den Taxifahrer nach seiner Handynummer, um ihn in unsere weiteren koforiduanischen Dienste zu setzen.
Nebenbei nutzen die andere Volontärin und ich diese außerordentliche Situation aus, in der er nicht wegrennen kann, und fragen ihn über ghanisches Leben, Ghanaer im Allgemeinen und koforiduanische Biologie im Besonderen aus. Auf die Frage, was sie für ausgefallene Tiere in und um Koforidua hätten, erklärt er uns ausgedehnt und stolz: „oh, we have, greeeeen, black, white, blueeee, aaaaand orange!!!“. Aha. Vielleicht war diese Frage zu schwer.
Mit Tieren scheint er es nicht so zu haben, unser VIP-Taxifahrer, wir finden aber schnell seine Leidenschaft; Seine eigene Farm. Er erzählt uns, dass er neben dem Taxifahren noch jeden Dienstag und Sonntag auf seiner Farm verbringt und Kakao anbaut.
Mehr noch: Er verspricht uns, am nächsten Tag einen Kakaofrucht mitzubringen, etwas skeptisch muntere ich ihn mit einem „that’s nice“ auf.
Der Morgen danach:
Er scheint zuverlässig und pünktlich. Nach einem ausgedehnten Buffet-Frühstück, bei dem uns unsere euroäischen Mägen einen Purzelbaum aus Dankbarkeit und Freude über die vielen exotischen, für uns „normalen“, Delikatessen machen, starten wir mit vollen Bäuchen und dem Wissen, dass wir an dem Tag – wie auch immer – diesen Ballast wieder aufarbeiten werden. Recht hatten wir.
In der Tat! Der Taxifahrer ist kein Überstapler und hat tatsächlich eine Farm mit Kakao. Wir sind hellauf begeistert, denn er hat uns wirklich eine Kakaopflanze mitgebracht.
Ich hatte, wie ich genauso wenig die Vorstellung hatte, dass die Kuh lila ist, zwar nicht die Vorstellung, dass Kakao geröstet auf Kakaobäumen hängt, aber trotzdem muss ich zugeben, dass ich nicht sehr viel Wissen über Kakao hatte, außer dass ca. 55-80% dieses Etwases in meiner Schokolade sein muss, um meinen Gaumen zu erfreuen.
Für alle Clubmitglieder: Kakao wächst tatsächlich nicht geröstet an Bäumen, auch nicht auf der Erde! Kakao ist eine Frucht, die aus einer bestäubten Blüte an einem Kakaobaum wächst. Ein Kakaobaum ist ca. 2 Meter groß. Diese Frucht wächst dann zu einer fast handgroßen Frucht an, die dann reif ist, wenn sie sich orange verfärbt hat. Wenn man diese aufschneidet sieht man zunächst weiß. Ein weißes Fruchtfleisch, was glibberig süß schmeckt. Wenn man das Fruchtfleisch gelutscht bzw. entfernt hat, kommt die Kakaobohne heraus, die aber nicht braun ist, sie muss erst ein paar Tage getrocknet werden.
Für alle weiteren Details fragt bitte Tante Wiki!
Weiter im Tagesablauf.
Wir fahren zuerst zu einem Wasserfall, genannt „Boti waterfalls“. Es ist atemberaubend! Auch wenn der Taxifahrer nicht den Unterschied zwischen privatem Taxifahrer und Bodyguard verstanden hat und er uns auf Schritt und Tritt überallhin begleitet, obwohl wir ihm schon subtil aufdringlich unsere Ablehnung für seine Begleitung vermitteln; er bleibt standhaft.
Wir entscheiden uns heldenhaft für eine Wanderung durch den tropischen Regenwald zu dem Umbrella Rock oder zu dem anderen Wasserfall, das wissen wir noch nicht so genau. Es braucht nämlich schon ganze 15 Minuten, um überhaupt unseren guide PLUS den Taxifahrer (was er mitzureden hat – fragt mich nicht!) zu überzeugen, dass wir weitere Dienste des guides beanspruchen. Ich frage mich, warum er uns nicht um den Hals springt, dass wir ihm noch weitere 10 Cedi zahlen und er sich damit heute Abend die Wanze vollhauen könnte – ghanaische Logik, er scheint keine Lust zu haben und erst nach langem Diskutieren und weiblicher Überzeugungskraft unsererseits können wir die Männer von unserer Wanderlust begeistern.
Und dann geht’s los! Über Stock und Stein! Mehr Stein als Stock. Der Guide ist ein drahtiger Afrikaner, wir können mit seiner Ausdauer nicht mithalten. Das liegt alleine in der Tatsache, dass er die Strecke trotz seiner Arbeitseinstellung sicherlich noch öfters läuft als wir, aber ich denke – zu meiner Entschuldigung – es liegt auch an der Natur der Ghanaer (siehe Physiologie der Ghanaer, die noch in Bearbeitung ist)
Als wir nach gefühlten viel mehr als 90 Minuten strammen Laufen und Wasserverlust von ca. 10 Liter (!)  beim Umbrella Rock ankommen wartet schon unser aufdringlicher Taxifahrer auf uns, wobei ich ihn in meiner Trance eher für eine tropische Fata Morgana erkläre, bis er dann tatsächlich in langer Hose und langem Pulli (bei 40°C im Schatten), ob wir ihn denn nicht erkennen. Wir setzen ein Lächeln auf und meinen, ja, doch haben wir gerade andere afrikanische Sorgen, als ihn zu erkennen, wie z.B. Wasser!
Er lässt uns noch kurz die Aussicht genießen, schießt ein paar für Afrikaner typische Bilder von uns, bei denen man froh sein kann, dass die richtigen Personen überhaupt dargestellt werden und die dann so herangezoomt sind, dass man sie nur am Stoff der Kleidung dieser Person identifizieren kann.
Nichtsdestominder: Allein für diesen Ausblick hat sich jegliches Schwitzen und Laufen gelohnt. Wir schauen auf eine Weite von Hügeln, die alle wie im Geographielehrbuch über den tropischen Regenwald abgebildet sind. Hier ein Bananenbaum, hier ein Plantainbaum. Und zwischendrin auf den Hügeln Lehmdörfchen aus ca. 1-3 Häuschen mit alteingesessenen afrikanischen Selbstversorgern. Alles ist saftig grün und die Wolken dreidimensional, wie ich sie so nie in Deutschland sehe!
Atemberaubend.
Nach noch einem Naturwunder-Wasserfall treten wir so langsam die Heimreise an – denken wir. Unser Taxifahrer hat Besseres mit uns vor. Er fährt uns erst einmal auf seine Kakaofarm. Farm ist sicherlich übertrieben, es ist eher ein auf einem Hügel abseits der Stadt gelegenes Schräbergärtchen, was aussieht, als wäre es seit Jahren nicht mehr gepflegt worden. Hier ein Orangenbäumchen, hier ein Okru-Pflänzchen und um alles herum überall Kakaobäume. Seine eigene Farm ist außer der Information, die ich über Kakao erhaschen kann, welche ich euch ja schon anfangs zum Besten gegeben habe, nicht sehr interessant. Interessant wird es, als sich der „Vater“ von unserem Taxifahrer anschließt (diese Vaterschaft ist für mich genauso fraglich wie die Brüderschaften der Ghanaer....).
Wir fahren nun 30 Minuten weiter auf die andere Seite der Stadt, um uns die Farm des Vaters anzuschauen, der auch Kaffee anbaut.
Wir kommen hier zum Nebenfarmer, der auf dem Territorium der Regierung angestellt ist, zum Reden. Er beantwortet uns alle Fragen rund um den Kakao.
Kakao nennt man hier auch das ghanaische Gold.
Die Regierung besitzt einen Großteil der ganzen Farmen in Ghana und stellt die Arbeiter dann an. Sind die Farmen in Privatbesitz, so wird meistens die Person, die sich um die Farm kümmert prozentual am Gewinn beteiligt, einer Person, die also nicht für die Regierung arbeitet hat zum Einen einen finanziellen Vorteil, ist aber bei schlechter Ernte in gut Deutsch gearscht und hat des Weiteren auch nicht den Komfort der Maschinen, die die Arbeit ungemein erleichtern. Den einzigen Traktor in ganz Ghana habe ich auf der Farm der Regierung gesehen und als es bei unserem Besuch anfängt zu schütten, was es ja jeden Tag in dieser Region macht, muss der Farmer der Regierung einfach nur ein Eisengestell über die trocknenden Kakaobohnen schieben, währenddessen die Farmer von Privatbesitz Bananenblätter über ihre ganzen Kakaobohnen legen müssen.
Es hat beides seine Vor- und Nachteile.
Kurios ist die Tatsache, dass weder der Farmer der Regierung, der uns äußerst kompetent in seinem Metier erschien, noch die Farmer, denen die Farm gehörten, wussten, wie viel Cedi sie für einen Sack Kakao (64kg) bekommen. Mir ist natürlich klar, dass noch nicht einmal der DAX so schwankt wie die Kakaopreise auf dem Weltmarkt, aber selbst den Preis der letzten verkauften Säcke konnten sie uns nicht nennen.

Auf unsere etwas tückisch gestellte Frage, ob hier auch Kinder auf den Farmen helfen, streitet der Taxifahrer das vehement ab. Mit jedem weiteren Satz räumt er jedoch mehr Freiheit und Legitimation ein, dass auch Kinder helfen. Im Endeffekt sieht es also so aus, dass keine Kinder auf der Regierungsfarm arbeiten, aber es sehr gut sein kann, dass eine komplette Familie eine Farm bestellt, was sich als sehr zeit- und kraftaufwendig herausstellt, da Kakao das ganze Jahr über wächst.

Ich beneide ihn und meine, wenn ich hier auf der Farm arbeiten würde, tränke ich sichrlich von morgens bis abends Kaffee und äße getrocknete Kakaobohnen.
Der Vater lacht nur und sagt er trinke NIE Kaffee, das mache nicht stark und sei „foreign food“. Banku morgens, Banku mittags und Banku abends mache stark! Kaffee trinken nur die Ausländer, sein Magen sei daran gar nicht gewöhnt und er wolle ihn auch nicht daran gewöhnen. Nun gut, Ghana ist ein freies Land.

Über das komplette Gespräch hin, das wir über Kakao führen kommt der angebliche Vater unseres Taxifahrers immer zu einem nervigen Punkt: WIR sollen doch unbedingt eine Farm kaufen! Ich habe ihm  hoch und heilig versprochen, dass ich allen meinen Freunden diesen ultimativen Tipp weitergeben werde! Das Argument, dass ich noch nicht einmal fertig studiert habe, woher ich also das Geld holen solle, eine Farm zu unterhalten, zählt nicht, denn Obrunis haben doch sowieso IMMER Geld?!
Und sowieso, man müsste nur 1-2 Mal im Jahr herüberfliegen, um zu schauen, ob alles in bester Ordnung ist. Natürlich würde man dann alles prozentual teilen, zu welchem Prozentsatz ist noch nicht vereinbart und sicherlich auf Verhandlungsbasis. Er könne es jedem nur empfehlen, eine Farm in Ghana zu kaufen, allein um sagen zu können, man habe eine Farm in Ghana!
Außerdem ist Koforidua eine wunderschöne Umgebung und herrlich, um es ab und zu zu besuchen, ein reicher Mann für deutsche Verhältnisse wird man jedoch mit so einer kleinen Farm nicht, da muss man schon andere Geschütze auffahren. 
Ich würde mir dieses vage Geschäft, liebe Freunde, dann aber doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen und vor der endgültigen Entscheidung erst einmal die ghanaische Arbeitsmoral der zukünftigen „Schaffer“ observieren... 

Unser Start in die Off-days


Endlich ist es wieder so weit. Wir brechen aus dem Kinder Paradies aus, rein in die harte ghanaische Realität...!
Unsere Fahrt beginnt früh morgens, es muss noch alles für den Abflug bereit gemacht werden, geputzt, gepackt und natürlich darf die ghanaische Ananas zum Frühstück nicht fehlen.
Wir fahren so früh los, dass wir nicht in den morgendlichen Verkehr kommen, morgens ab 7,8 Uhr scheint es, dass ganz Ghana nur in die Hauptstadt will, deshalb - wohl geplant - , starten wir um halb 6.
Im Dorf nehmen wir einen Trotro –  so langsam habe ich mich tatsächlich an den Zustand der Autos hier gewohnt und beginne die Fahrt mit einem Raunen an meine Mitvolontärin: „Wow, der hier ist wirklich luxuriös“. (Wir befinden uns zu 25. In einem großen Sprinter) Ich nehme dieses Statement sogleich wieder zurück, als der Mann von dem hintersten Sitz nach ein paar Metern schon wieder hinausgelassen werden will und den kompletten Trotro in Bewegung setzt samt mich und meinem 15 Cedi Rucksack und meiner sperrigen Tasche.)
Angekommen in der Hauptstadt ordern wir ein Taxi, denn bezüglich der Orientierung in der Hauptstadt Accra muss ich komplett passen - es gibt weder Straßennamen, die bekannt sind, noch eine schöne römisch geplante Stadtstruktur. Alles ist schnell, laut und ungeordnet.

Was ich aber weiß ist, dass ich jedem Taxifahrer etwas weniger als die Hälfte seines verlangten Preises anbieten darf. Ich muss mich dann aber auf ein ca. 5 minütiges Preisverhandeln einstellen. Beim Verhandeln, auch wenn ich null weiß, wohin des Weges, pokere ich hoch und fahre zuerst mit Argumenten wie „I know the place, it’s not far“ auf.  99,99% der Taxifahrer antworten jetzt „oh yes, it’s far, there is a lot of traffic at this time“ (Traffic ist IMMER in Accra). Jetzt werde ich ihm sagen, dass er mir doch bitte den Obibini-Preis sagen soll, dass ich schon a looong loooong time in Africa bin und ich bitte keinen Obruni-Preis mehr zahle. (Hochpokern ist immer gut und notwendig!)
Der Taxifahrer fängt nun an, hektisch mit den Händen um sich zu wirbeln.
Nein! Sicherlich nicht!
Es gäbe weder Obruni Preise, noch unfaire Preise. Ghana sei ein gerechtes Land with a lot of freedom! Jeder werde gleich behandelt, wir seien doch schließlich Brüder und Schwestern! Aber, wie solle er denn Benzin zahlen? (Diese letztere Frage kommt aber nur bei den äußerst harten Fällen vor, die durch Tränendrüsenstimulation monetarischen Vorteil erhaschen wollen)
Wenn er nach diesem sich in Rage redenden Sermon auf dem meinigen entgegenkommenden Preis immer noch nicht einwilligt, bleibe ich stur auf der Stelle stehen, entgegne, dass man so aber weder seinen Bruder noch seine Schwester über den Tisch zieht, ob das wirklich sein Ernst seie.
Wenn ich ganz viel Muse habe, laufe ich in angedeutetem selbstbewussten abweisendem Schneckentempo in die Fahrtrichtung und sage „Me daase“ (Danke auf Twi). Jetzt wird er sicherlich zu seinem Auto laufen, mir mit seiner rechten Hand zuwinken. Ich bleibe stehen, frage ob er es zu meinem Preis macht. Er winkt mir noch einmal zu, seinen Stolz nicht zu verletzen. Ich bleibe hart und frage noch einmal, ob er mir entgegenkommt. Er sagt nur „let’s go“. Ich will ihn nicht zwingen, sein ghanaisches Männerego an eine Obruni-Frau zu verlieren. Und so setze ich mich gutgelaunt ins Taxi, weil ich genau weiß, dass er immer noch das Geschäft seines Tages macht, alleinig das Geschäft der Woche ist ihm soeben entgangen...

Der Taxifahrer bringt uns über – das sehe sogar ich mit meinem orientierungslosen Blick – große Umweg durch die Reichensiedlungen zur gefühlt größten Trotro-Station Accras. Diese ist in 2 große Parkplätze eingeteilt, die sich noch weiter erstrecken, als wir überhaupt erfassen können. Für deutsche Genauigkeit; es stehen auf einem Parkplatz ca. 120 Trotros, die dann starten, wenn sie voll sind. Es gibt für uns keine ersichtlich geregelten Abfahrtszeiten.
Wir suchen eine Verkehrsinsel, da auf diesen meist alte Männer sitzen, die das Gewusel betrachten und es scheint, als würden sie jeden Trotro beim Namen, Kennzeichen und Besitzer, wichtiger aber noch beim Fahrtziel kennen. Kurios ist wirklich, dass die meisten Menschen genau wissen, welcher Trotro wohin fährt und wann er abfährt. Wie immer: Alle wissen es, nur kommuniziert es niemand (woher wissen sie es dann?! Und mehr noch: Wie können WIR das System durchschauen???)
Weiter im Text. Der alte Mann, der einem weisen Dorfältesten gleicht, schleust uns durch Marktverkäufer, Frauen mit zu verkaufenden hiesigen Waren (Mentos, Handyaufladekarten, sauberes Trinkwasser in Plastiktüten, Früchte, Plantainchips (!) und Teigwaren – zum Reinsetzen! ) und schreienden, sich anpreisenden Trotrofahrern, bis wir an dem richtigen Bus stehen, der auch noch in die richtige Richtung, in der nächsten Minute abfährt.
Es ist erstaunlich, wie wir doch eine Struktur in der riesigen Unordnung erahnen können!

Die Fahrt aus dem riesigen Gewusel geht mit einer Predigt einer Ghanaerin los. Ich weiß nicht, wer sie dafür autorisiert hat, sie sitzt neben dem Fahrer, somit erahne ich, dass sie vielleicht etwas mit ihm am Hut hat, vielleicht ist sie aber auch nur ein motivierter Fahrgast.
Sie beginnt mit einem Gebet auf Twi, worauf sie dann eine ca. 20 minütige Predigt aufbaut, die nach demagogischen Grundprinzipien der Rhetorik gehalten wird. Die Fahrgäste neben mir, samt den 15 anderen Fahrgästen in dem VW-Bus großen Trotro werfen in absehbaren Abständen ein zustimmendes „Amen“ oder „Praise the lord“ ein. Mir sind diese Leute und ihr Glauben an Gott und daran, dass wir trotz Schrottauto sicher in Koforidua ankommen sympathisch und mein mulmiges Gefühl verwandelt sich in Zuversicht.
Die Ghanaerin rechts neben mir - eine äußerst aktive Verfolgerin der Predigt – nutzt ihre Multitasking Fähigkeit aus und fängt mit ihrem alltäglichen Geschäft an. Sie scheint eine Schmuck-Marktverkäuferin zu sein. In einer Tüte befinden sich alle ihre goldnachgemachten Ketten, in der anderen Plastiktüte die Plastikaufhänger mit dem Logo der Billigfirma. Nicht vergessen: Wir befinden uns in Afrika, in dem aus Not alles multifunktional gebraucht wird; Diese Marktfrau benutzt den Plastikaufhänger der Ketten nicht nur als Plastikaufhänger, sondern auch als Zahnseide. Sie hat nämlich gerade das schleimige ghanaische Okru mit Banku in sich – wohl gemerkt auch aus einer schwarzen Plastiktüte – verschlungen, was ihr wohl noch zwischen den Zähnen hängt. In dem Hygienebewusstsein der Ghanaer benutzt sie also eine Aufhängung der anderen für je einen Zahnzwischenraum.
Mit grobsauberen Zahnzwischenräumen benutzt sie ihre Beißer auch noch, um die Aufhänger der Ketten zu öffnen und diese dann an die schon angeschlonzten Plastikaufhänger zu befestigen.
Zwischenerkenntnis des Tages: Kaufe niemals Schmuck auf dem Markt - Es könnte mit mikroskopischen Okru-Resten behaftet sein!

Um nicht weiter in Ekel zu verfallen konzentriere ich mich auf die Umgebung. Ich sitze zum Glück auf dem Schwerpunktplatz des Trotros und kann somit das Geschehen auf der vor uns liegenden Straße visuell kontrollieren – meine ich zumindest.
Sobald wir aus dem gestauten Accra hinausfahren kommen wir auch schon durch Savannen geprägte Dörfchen, weiter durch bergige Hügel, in dem man schon die nächste Vegetation erkennen kann. Wir entfernen uns von der Trockensavanne, hinein in den tropischen Regenwald!
Mir kommt diese Fahrt wie die hannibalische Alpenüberquerung vor, nur dass Hannibal sicherlich nicht in so einem Affentempo über die Alpen gerast ist.
Es fühlt sich ungefähr so an wie eine Silver Star-Fahrt im Europa-Park, auch wenn ich diese noch nie und in meine Leben nie fahren werde.
Der Trotro will naturgemäß kein Benzin vergeuden, jeder Schwung muss also ausgenutzt werden! Bei einem Abfall der – Gott sei Dank - geteerten Straße uns ausnahmsweise mal ohne Schlaglöcher(!) von 45°,gefühlten 80° muss er diesen Schwung natürlich ausnutzen, brettert wie ein Idiot hinunter und genau in der Minute geht auch wieder die Straße im 45° Winkel in einem Bogen himmelaufwärts, währenddessen ich nur bete, dass um die Ecke nicht noch einmal so ein Geisterfahrer uns entgegenkommt – er tat es nicht, deshalb kann ich diesen Eintrag noch schreiben.

Wir kommen sicher in Koforidua, eine Stadt mitten im tropischen Regenwald an.

Fortsetzung folgt bestimmt...

Montag, 15. Oktober 2012

Buschmusik?! oder die Musikalität der Ghanaer


In diesem Punkt kann ich dem Vorurteil, dass alle Afrikaner um den Busch tanzen und trommeln, zum großen Teil zustimmen. Nicht, dass sie hier wirklich in Adam-und-Eva-Bekleidung ums Feuer tanzen würden – davon sind sie weit entfernt und ich bin jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie zivilisiert und europäisch es trotz Allem hier zugeht – nein, es geht um die Musik!
Afrikaner leben mit Musik. Gibt es irgendetwas, was nur annähernd eine Klangfläche in sich birgt, so wird es sofort zum Trommeln benutzt.
Sobald ich aufwache, sei es um 4 Uhr morgens, und ich höre gerade jemanden am Wassertank Wasser holen; ich kann mir sicher sein, dass derjenige auf den buckets den Rhythmus eines mir jetzt endlich bekannten Liedes verklanglicht. Wenn es kein bucket ist, dann ist es die Tupperbox, eine Wasserflasche, oder Rohstoffe wie Hölzchen oder Steinchen, die sich aneinander reiben oder aufeinander schlagen, um einen harmonischen Laut entstehen zu lassen.
Aber auch wenn keine Materialien zur Verfügung stehen, was ja in Afrika tendenziell häufiger der Fall ist, der Ghanaer ist um die musische Kreativität nie verlegen.
Wenn ich die Kleinste hier bade – man bemerke sie ist 3 Jahre alt, schnalzt sie mit ihrer Zunge, formt ihre Lippen zu kussähnlicher Stellung und lässt rhythmische Laute von sich. Und wenn sie aus tiefster Seele heult, so ist die einzige Medizin, dass ich ihr ein Liedchen vorsinge (wobei ich nicht sagen will, dass das in Deutschland kein wertvolles Heilmittel ist).
Auch wenn sie nur dastehen, versüßen sie sich diese Minuten, indem sie kaum merkbar steppen und ab der Hüfte abwärts mit ihren Füßen schwofen.

Diese Musikalität kommt sicherlich nicht von ungefähr. Auch in so einem relativ zivilisierten Land wie Ghana, in der, um mit den Vorurteilen jetzt ganz pro Forma aufzuräumen, bis jetzt noch niemand (oder nicht mehr) um den Busch tanzt, haben sie sich diese Prägung beibehalten.
Es fängt früh morgens bei der „devotion“ an. Hier werden ca. 6 Lieder gesungen, immer verschiedene und kreativ aneinandergereiht, begleitet vom rhythmisch in die Hände klatschen. Die devotion ist sicherlich ziemlich auf das Kinderheim beschränkt und ich gehe davon aus, dass „normale“ Kinder nicht unbedingt morgens um 6 Uhr eine private devotion abhalten. Nichtsdestominder:  In der Schule geht es gleich weiter. Wenn es keine Parade gibt – von Trommeln begleitet versteht sich – dann gibt es morgens eine Stunde „worship“, man kann sich das ungefähr so vorstellen wie Lobpreis Sonntags in der Gemeinde, nur ohne Predigt. Wenn beides nicht, dann bleibt immer noch die Möglichkeit in den Klassen zu singen, was von ausnahmslos allen Lehrern angewendet wird.
Es kommt mir so vor, dass die einzige Beschäftigung im Kindergarten aus Singen zum Stockschlagen der  Erzieherin und auf Hänseleien des Nachbars „he beat me!“ zu schreien besteht. 
Nach der Schule gibt es in der Dining Hall essen. Hier gibt es in der Welt des Trommelns und für den geschulten Blick ein Paradies an Gelegenheiten, das immens hohe Trommelbedürfnis zu befriedigen. Auf dem Rücken des Nachbars, dem Plastikteller, dem Tisch, dem Bein, der Schöpfkelle...
Die nächste Gelegenheit wieder musikalisch in Aktion zu treten ist nach der Schule in der Abenddevotion, die ungefähr so abläuft wie die Morgendevotion, nur dass mehr gesungen wird und dazu auch mehr geklatscht. Abends sind die musikalischen Gemüter wohl wacher, denn jetzt wird der Rhythmus mehr abgeändert.
Hier erfolgt Kommunikation auf Ghanaisch: Alle wissen, wann der Rhythmus sich ändert, es wird nur nicht verbalisiert und die Weißen sind die letzten, die es mitbekommen...
Die Zeit zwischen Schule und Abenddevotion ohne Musik kommt auf dem Papier lang vor, sie wird jedoch mit persönlicher Würze gefüllt. 
In Ghana ist es normal, dass jeder ein Handy hat. Ein Jeder, der ein Mobiltelefon zur Verfügung hat läuft hiermit herum und  lässt Musik spielen (wie die Prolls in Deutschland) oder auch eine Predigt. Diese ähnelt mit unserem täglichen Erschrecken der Rhetorik der Reden eines Fidel Castros oder eines Mao Zedongs (um nicht das deutsche Pendant zu benennen).
Die 3 Lieblingsinterpreten der männlichen(!) Ghanaer (nebst den aktuellen RnB Charts):
1.     Westlife
2.     Backstreetboys
3.     Celine Dion
(für alle Interessenten: die aktuellen Charts in Ghana sind
- Keche: Aluguntugui
- Keche: Pressure
-Azonto Ghost)

Bemerkenswert ist gerade bei diesen nationalen Welthits, dass komplett jeder Ghanaer dieses Lied kennt und auch noch den Videoclip tanzen könnte. Ich könnte in der Hauptstadt beim Marktverkäufer anfangen und im ausgelegensten Dorf Prampram beim Dorfältesten aufhören!

Dazu wird die Musik einfach für jeden offen angeboten und gar nicht gefragt, wer welchen Stil im Moment in welcher Lautstärke begehrt. (Was in genervter Stimmung auch als Schattenseite der musikalischen Dependenz herausstellt, wenn man sich gerade im Internetcafé befindet und jeder Computer ein eigenes Lied in Affenlautstärke spielt)

Ansonsten bin ich begeistert, wie musikalisch die Kinder hier sind! Überall höre ich Summen oder Trommel und selbst die kleinen Rabauken, ca. 10, spielen Trommeln wie begnadete Rockstars. Um nicht die Tanzfähigkeiten auszuschmücken...
Sei das Lied, was wir ihnen beibringen oder mit ihnen singen rhythmisch noch so schwer, ist es eine Leichtigkeit für sie.
Die andere Volontärin, die ein paar Kindern Klavier beibringt, hat ihre größte Mühe mit den Noten und Notenbeschriftungen, jedoch nicht mit den übertriebensten Rhythmen, bei dem jedes deutsche Kind sicherlich ringen würde
Die Kirche gestaltet sich genau so wie der Alltag: 2/3 Musik, 1/3 Sonstiges. Es wird getanzt, gesungen, herumgelaufen, getrommelt, ins Mikrophon geschrien und die ganze Zeit durchgeklatscht.
Es ist die lebendige afrikanische Art, die selbst der verstockteste Europäer versteht und liebt bzw. lieben lernt. 

Montag, 1. Oktober 2012

Meine liebe Blog-Community!


Hier kommt endlich mein versprochener „persönlicher“ Blog-Eintrag, das heißt ALLE, die auf Gefühlsduselei keine Lust haben, sollen JETZT aufhören zu lesen!

I’m just kidding.
So schlimm wird’s nicht, meine Lieben!

Anlässlich meines kleinen Jubiläums – ich bin nämlich schon geschlagene 2(!) Monate hier – finde ich es jedoch angemessen mal von meinem Leben im Kinderheim zu erzählen, was ja auch die meiste Zeit mein Erleben hier prägt.
Wie schon gesagt, es gibt zu viele Geschichten von den Kindern, die ich euch so gerne mitteilen würde, aber die müssen leider warten, da sie die weite Welt des Webs nicht betreten dürfen.

Ich muss zugeben, dass bei allem Humor, den ich mir hier bewahrt habe, ich schon durch eine sehr harte Zeit gegangen bin in diesen ersten 2 Monaten.
Wenn man von einem Volontariat in Afrika hört, denkt wohl jeder Europäer an schwarze verhungernde, süße, nach Liebe lechzende Kinder...
Irgendwoher muss dieses Vorurteil ja kommen, doch nicht aus Ghana, wobei ich speziell ja nur von meinem Kinderheim reden darf.
Also fürs Protokoll: Nicht aus diesem Kinderheim.
Die Kinder haben sich mir jedenfalls nicht sofort um den Hals geworfen. Es hat gedauert.

Fangen wir beim Anfang an. Ich kam an und war – wie auch anders erwartet – grün hinter meinen ghanaischen Ohren. Wäre nicht die andere Volontärin da gewesen, um mich einzuarbeiten, wäre ich sicherlich jetzt noch nicht eingearbeitet, denn Ghanaer instruieren nicht. Sie korrigieren nicht und geben so gut wie keine Anweisungen, denn das empfinden sie als unhöflich. Ein klares Abstecken der auszuführenden Arbeit gibt es hier nicht, es gilt zu beobachten und nachzuahmen.
Ich war geschockt von dem scharfen Umgangston hier, den ich null erwartet hätte...

Morgens in einem Gewirr von 30 Kindern im Haus, die irgendeine undefinierbare Arbeit verrichten, die zwar auf einem Plan ausgehängt wird, doch mir niemand eine Anweisung gibt, außer dass ich bei Nachfragen „supervisen“ soll, fühlte ich mich etwas verloren und hilflos. So kommt es, dass ich morgens meist herumstand und ganz „busy supervising“  war, d.h. Tee getrunken habe während ich dachte, dass die Kinder arbeiten. Erst jetzt so langsam komme ich auf den Trichter, was die Kinder alles NICHT machen und welche Schlupflöcher sie suchen.

Ghanaische Kinder werden streng aufgezogen. Sie verstehen nur die Sprache des Schreiens und der Strafe. Diese Sprache musste ich lernen zu sprechen, um hier respektiert zu werden. Am Anfang hat genau diese einheimische Sprache mir den Strick gedreht und den Kindern die Sprache verschlagen, um es nett auszudrücken.
Es gab nach ca. 2 Wochen hier einen Vorfall an meinem Tisch, ich intervenierte, verteilte Strafen und – tschaka – keiner von meinem Tisch redete mehr mit mir. Ich kann euch nicht sagen, was in meinem Kopf umherging, auf jeden Fall viele Selbstzweifel und Verzweiflung. Was suche ich in Afrika, wenn die Kinder mich hier ignorieren? (Ich rede hier von 5 von 50 Kindern – Rationalität in solchen Situationen zu verlangen ist aber eher utopisches Wunschdenken). Was ich nicht wusste  (weil mich ja auch niemand instruiert hat), dass es komplett normal ist, dass die Kinder hier, wenn ihnen etwas nicht passt, ignorieren. Gerade das Fragilste hier in Ghana, nämlich die Kommunikation, wird bei jeglicher Störung sofort auf Eis gelegt.
Das hat natürlich nicht sooo lange angehalten, ein paar Tage jedoch schon (ca.7) ich habe mich an die Mitarbeiter gewendet, wo mir einer wirklich weitergeholfen hat. Auch die deutsche Leitung hat weitergeholfen.
Das eine führende Mädchen fühlte sich so auf den Schlips getreten, dass wir uns erst JETZT wieder annähern.

Das ist nur eine Situation von vielen, die ich hier erlebt habe, die alles andere als paradiesisch waren, aber ich habe sie gemeistert und mich merke, wie es jetzt bergauf geht.
Es hat eine lange Zeit gebraucht, (die in Erinnerungen und Erzählungen oft gerne vernachlässigt wird) überhaupt mit den Kindern warm zu werden, dass man die Namen von allen 70 hier kennt, dass die Kinder sich an schon wieder(!) eine neue Volontärin gewöhnen und vor Allem die Grenzen austesten, wie streng diese neue Möchtegern-Autorität ist... (-> Siehe: MaJudith die Hausmutter).
Die Knacknuss befindet sich in der Tatsache, dass Kinder hier genau so sind wie überall auch. Es gibt die Zicken, genauso wie die Erfinder, die Gutmütigen, genauso wie die Temperamente, die Hinterfotzigen, genauso wie die Kriminellen, aber auch die netten Unschuldigen.

Ich lerne hier viel über Entwicklungshilfe und darüber, dass nicht alles Gold ist, was auf Fotos glänzt...
Viele Konversationen sind wichtig, dass ich sie wirklich nicht missen wollen würde!
Als ich z.B. einen Jungen, der bei der Verteilung von Kleidern gerade auf sein Mangel an Schuhen hinweisen wollte, indem er  „shoes, shoes!“ rief, fragte, woher er denkt, dass die Schuhe kommen, ob diese vom Himmel regnen, lachte er und meinte von MaX, der Leiterin, einer Weißen.
Beim Weiteren Beharren meinerseits, ob er denkt, dass die Leitern das Geld für Schuhe herzaubert, grinste er und brachte den ghanaischen Standardspruch: „Me, I don’t know“.
Ich glaube ich war der Pionier seines Lebens, als ich ihm versuchte zu erklären, dass die Schuhe, die Kleidung, das Essen und alles, worin er lebt nicht von der Leiterin kommt, sondern von Menschen, die für IHN arbeiten. Dass sogar weiße Menschen arbeiten müssen, aber dass sie hart arbeiten und deswegen auch noch etwas den Kindern in Afrika abgeben (etwas Theatralik ist durch die meinige Intension denke ich gerechtfertigt). Er starrte mich mit großen schwarzen Augen an „Yes, Ma“.

Es gibt aber Aufs und Abs! Ich erlebe im Moment viel mehr Aufs, dass ich mit den größeren Mädchen besser zurecht komme, mit den Kindern spiele und ich mich heimischer fühle, weil ich so langsam weiß, was getan werden muss.  
Es sind die Nachmittage und die Gespräche mit den Kindern, die es hier lebenswert machen. Die Nachhilfestunden mit einem Jungen z.B., der 16 ist und 13 Jahre seines Lebens auf der Straße gelebt hat, dem ich versuche das Lesen und Schreiben auf spielerische seinem Alter angemessene Art näherzubringen.
Die Stunden, in denen wir singen oder UNO spielen, die Kinder einfach zu uns kommen und uns umarmen, weil sie wissen, dass wir die Umarmung erwidern!
Die church sonntags, in denen die Kinder eine Stunde lang trommeln, klatschen und singen – wir zwar nur 1% an Twi-Wörtern verstehen, aber was wir verstehen ist die Freude, die dahinter steckt!

Ihr seht also: Es ist weder schwarz noch weiß – es ist grau (bzw. braun;) )

My everyday life


Falls ihr euch schon die letzten 2 Monate mit schlaflosen Nächten herumplagt, weil ihr zwar Anekdötchen aus meinem Leben in Ghana lesen durftet, jedoch die große Frage: „was macht die Judith eigentlich den ganzen lieben langen Tag?“ immer noch nicht geklärt ist, erlöse ich euch hiermit ganz offiziell von diesen Qualen.
Ich fange besser ganz von Anfang an, nämlich mit meinem Wecker um 4.30. 
(Bei euch 6.30, was es aber sicherlich nicht besser macht!)
Die Kinder werden schon so früh geweckt, weil sich alle baden müssen und es dann an die Hausarbeit geht.
Jedes Kind hat eine „duty“, die es im Haus morgens verrichten muss. Bad putzen, Fenster putzen, Boden putzen... . Afrikaner sind von Grund auf so sauber, dass sie sogar den Sand kehren – kein Scherz! Und bitte fragt nicht nach dem Sinn, das hat nämlich keinen Sinn, denn ihr werdet keine zufriedenstellende Antwort bekommen. Ich sage nur „(->)toothbrushing before breakfast“.
Danach geht es zum Frühstück. Ich habe für jede Mahlzeit einen Tisch zugeteilt bekommen, zudem hat jedes Kind einen eigenen Sitzplatz auf der Bank; alles ist geregelt und muss tagtäglich eingehalten werden. Wenn nicht ist das System überladen – system overloaded, wie wir hier so gerne sagen – und es funktioniert für die nächsten Minuten/Stunden/Tage nichts mehr.
Nach dem Frühstück, an dem ich nur da sitze und mir der Magen knurrt, gehen die andere Volontärin und ich frühstücken. Die Tortur, dass wir nach 2h Wachsein immer noch nicht essen lohnt sich tagtäglich: Wir nehmen unser Frühstück in Ruhe und mit wundervollem Ausblick auf den letzten Streifen des Meereshorizonts ein, nachdem die Kinder in die Schule sind.
Am Nachmittag kann es vorkommen, dass wir außer einem meeting oder etwas office work nichts zu tun haben. In dieser Zeit beschäftigen wir uns selber, überlegen uns, was wir am Nachmittag machen oder lassen uns vom ghanaischen Phlegma leiten.
Mittags um 12 haben wir manchmal „dining-hall-Dienst“. Wie schon gesagt ist die Schule auch auf dem Gelände, die Kinder und die externen Schüler essen somit auch in unserer dining hall. Jetzt stürmen ca. 200 Kinder in die Halle und werden wie Raubtiere gefüttert und gezähmt.
Gezähmt wird nach pädagogischen Grundprinzipien der 50-er Jahre. Wer nicht spurt, das Hemd falsch anhat, redet, oder einfach dem Lehrer nicht gefällt muss sich auf die Bank stellen, rechter Arm nach oben, linker hinter den Kopf, während die anderen ihr Essen in sich hineinschlingen.

Meine Aufgabe hierbei ist es, den Wasserspender zu spielen, übersetzt: den Wasserhahn auf- und zudrehen.
Nun, ich wäre nicht ich, wenn ich die Kinder dabei nicht zur Dankbarkeit und wenn das nicht, wenigstens zur Höflichkeit erziehen würde. Bei jedem noch so großen Ansturm gewahre ich mir den Vorsatz, jedem Kind erst einmal ein „please“ zu entlocken.
Die Kinder kommen angestürmt, als hätten sie seit Wochen keinen Wassertropfen mehr gehabt (man bemerke: die externen Schüler kommen normalerweise aus finanziell gutbetuchten Familien) und würden mich, die eine Arbeitskraft, ein MENSCH ist, kaum bemerken. Sie strecken den Becher hin: „wataaa!“ (water).
So langsam habe ich mir schon einen Namen als annoying Obruni gemacht – jedenfalls kennen sie mich schon und grüßen mich alle ehrfürchtig in der Angst, ich könnte den Harn wieder abstellen.

Nach so viel Stress und einem guten, jedoch weniger ausgewogenem, aber leckeren(!) Mittagessen haben wir uns eine Siesta redlich verdient!

Nach der Siesta kommen die Kinder nach Hause.
„Good afternoon, Ma Judith!“ ist da der meistbenutze Satz in der nächsten halben Stunde. Wir platzieren uns immer genau im Eingang und begrüßen alle Kinder von der Schule, jeden wie er es braucht und will. Manche mit einem netten distanzierten Lächeln, manche mit einer Umarmung.
Danach haben die Kinder kurz Zeit: ziehen sich um, waschen Kleider – die Zeit vergeht irgendwie immer bis es zur Hausaufgabenbetreuung geht, in der ich auch eine Gruppe leite. Hausaufgaben werden gemacht, Gedichte gedichtet, Hangman gespielt...
Die Zeit am Nachmittag vergeht wie im Flug! Schon ist die Hausaufgabenbetreuung vorbei, da ist nur noch eine h übrig, in der gespielt werden kann.
Das ist die Stunde des Tages, weil wir dann Zeit mit den Kindern haben können, die wir selbst gestalten. Manchmal treffen wir uns mit ein paar Kindern und lernen ein neues Lied, ich gebe Nachhilfe, spiele UNO mit den Kindern oder lerne Trommeln – luxuriöser Privatunterricht bei Afrikanern: priceless!
Dann ist schon Abendessen, evening devotion (Abendgebet auf afrikanisch) und „bathing time“.
Abends schreibe ich die Tagebücher der Kinder, in denen ich festhalte, was das Kind erlebt hat, was gut war oder wo es nicht "gespurt" hat.

So sieht ein normaler Alltagstag aus, das Wochenende sieht natürlich anders aus, da gilt es länger zu schlafen (2h!), mehr putzen und mehr Freizeit!

Liest man sich den Tagesablauf durch, muss ich zugeben, dass es sich nach weniger anhört, als es ist und ich garantiere euch: Der Tag vergeht schneller als man überhaupt merkt und – flupp – bin ich wieder Zuhause!