Samstag, 8. September 2012

Über Entwicklungshilfe und Kopfschütteln


Vor ein paar Tagen haben wir den store room des Kinderheims ausgemistet.
Der store room ist eine Art „Omas Abstellkammer“, in dem ein noch riesigeres Chaos herrschte als in den Köpfen derer, die ihn ordnen sollten.

Voller Elan fängt eine Gruppe von ca. 20 Leuten an, alles auszuräumen.
Mit alles meine ich etwa die Hälfte des Raumes, die sich dann auf den Tischen in der großen Halle befinden und auf ihr Ordnungsurteil warten.
Ich falle innerlich aus allen Wolken.
Für mich ist es schon einmal eine großartige Überraschung, dass es ÜBERHAUPT einen store room gibt, worin in meinem deutschen Potentialerkennungs- und Potentialverwendungsraster sicherlich einiges hängen bleiben könnte... (Hierbei hege ich  fraglos die Hoffnung, die vielen Art classes, die auf mich abgeschoben werden, sinnvoll zu nutzen und neues Material dafür zu bekommen)
Ich selber wusste nur von Papier und Stiften, die zur Verfügung standen, um die art classes „kreativ“ zu nutzen. Wobei diese Rohstoffe mir bis vor einigen Minuten auch als Mangelware erschienen.

Was wir aus dem store room tragen ist kaum fassbar:  Stifte(!), Blöcke(!), ein Haufen Karten- und Brettspiele, aber auch Draußen-Spiele, die wahrscheinlich selbst den Besitz eines deutschen Kinderheims übertreffen würden, Bastelsachen in Hülle und Fülle, CDs, DVDs, Zeitschriften,...
Alles Spenden aus der ganzen Welt.

Dass es dieses alles hier en Masse gibt, es hier somit fast dieselbe Ausgangssituation für die Freizeitgestaltung besteht wie z.B. bei uns, erfüllt mich mit Freude, Erstaunen, aber auch Kopfschütteln und Wehmut – über diese Gefühle und ihre Gründe werde ich später noch einmal eingehen.

Die Kinder und wahrscheinlich selbst die Hausmütter sind im Glauben, dass sie mit den wenigsten Mitteln auskommen müssen. Die Kinder besitzen noch nicht einmal Stifte, diese bekommen sie nur in der Schule!

Warum also werden diese Schätze wie so viel anderes hier auch der Verrottung ausgesetzt und nicht einfach benutzt???

Das größte Problem ist, dass die Einheimischen hier damit nicht umgehen können!
Es sind alles Spenden aus fernen Ländern, doch die Einheimischen haben nie gelernt, wie man diese praktisch in den Alltag integrieren kann, geschweige denn, dass man damit das Leben auch noch verbessern könnte! Selbst wenn sie es gelernt haben, es setzt sich nicht in die Tat um!
Wenn die Hausmütter hier Bastelsachen sehen, können sie damit äquivalent wohl im ersten Moment genauso viel anfangen wie Deutsche mit einem UFO.
Wer könnte es ihnen verübeln?
Der einzige Unterschied zu den Deutschen ist, dass diese wohl - getrieben von ihrem unermüdlichen Entdeckergeist - das UFO so lange auf Herz und Niere, bzw. auf Innereien erforschen würden, damit sie innerhalb von ein paar Monaten Studien, Experimente, Untersuchungen, Statistiken... vorzuweisen haben, die die Aktivität und das Benutzungspotential dieses UFOs für die Zukunft bestätigen, erläutern und voraussagen können. Das UFO-Äquivalenz in Ghana, also die Bastelsachen, wird hier in Ghana nicht angetastet – es könnte ja im schlimmsten Falle von Außerirdischen sein...!

à la: was Der Bauer net kennt, das frisst er net!
(Das sollte ich im Hinblick auf das Essen auch einführen, dann wäre ich jedoch jetzt schon ausgemergelt..)

Naja, Wer könnte es ihnen verübeln, so zu denken?

ICH, mit einem großen Einspruch, Euer Ehren!

Die Sachen des store rooms werden schön eingesperrt, sodass auch niemand auf die Idee kommen KÖNNTE, sie einmal auszuprobieren und in die Alltagsgestaltung zu integrieren...

Nicht umsonst werden Obrunis eingesetzt, um die Bastelsachen auszusortieren und zu ordnen.
Nach 10 Minuten ist nur noch abgespeckt ca. die Hälfte mehr oder weniger motiviert am Arbeiten. Die Arbeiterzahl zerfällt exponentiell zur Zeit, wobei die Schranke bei 2 Personen liegt, nämlich den 2 Obrunis. (Bei dieser Rechnung sei nicht die ghanaische Regel einberechnet, dass auf einen Arbeiter mindestens 3 kommen, die zuschauen – ihr seht also, die Rechnung geht von vorne bis hinten nicht auf..)

Was ich damit nicht sagen will ist, dass die Ghanaer dumm sind. Ghana gehört zu einem Schwellenland; Es gibt Ressorts in der Wirtschaft, die stark wachsen und dort auch helle Köpfe sitzen. Das ist jedoch bei gefühlten 99,9% der Bevölkerung noch nicht angekommen.
Es fehlt hier an Entdeckergeist, an Leidenschaft für Dinge, sich für sie begeistern zu können und damit auch Fähigkeiten zu perfektionieren.
Diese Eigenschaften habe ich bis jetzt nur bei Bänkern und IT-lern gesehen, die zu einer Besichtigung hier im Kinderheim waren und versuchten, die Kinder zu Hohem zu motivieren – missglückte bis jetzt.(Diese Menschen hatten aber auch im Unterschied zu allen teure iPads im Gepäck, eine der wenigen im ganzen Land...).
Es gehört zur Tagesordnung, angefangene Dinge mit dem Satz „I can’t do that!“zu beenden.
Ein Obama wäre hier ein Anfang...


Was mich die letzten Wochen hier beschäftigte ist; Braucht Ghana überhaupt Entwicklungshilfe? Sollte man die afrikanischen Ländern nicht einfach sich selber überlassen? Haben die zivilisierten Staaten nicht schon genug angerichtet und machen nicht alles nur noch schlimmer mit ihrem Schlechtes-Gewissen-Lindern-Hilfen?
Können wir ÜBERHAUPT? helfen?

Helfen wir ihnen wirklich, indem wir für sie Dinge tun, die sie selber tun könnten?
Lincoln gibt da denke ich eine Antwort.
Uns Europäer kann man leicht abspeisen mit einem Foto, auf dem ein Weißer mit strahlendem Lächeln das erste Mal einen Brunnen in der Wüste in Betrieb nimmt, 20 Schwarze lachend dahinter stehend, grinsen für die Kamera.
Ich würde dieser Situation eher unterstellen, dass die Schwarzen lachen, weil sie in die elendig teure Kamera schauen und nicht, weil sie gerade einen Brunnen bekommen haben. (Alle sind hier ganz scharf auf Bilder von sich!)

Natürlich ist es eine Erleichterung für diese Menschen, einen Brunnen im Dorf zu haben, aber mal ganz ehrlich: sind wir nicht alle Menschen mit Gehirn? Ist unsere Einsicht, Wasserleitungen zu bauen vom Himmel gefallen oder gab es jemand mit eigenem selbstständigen Menschenverstand, der sich hinsetzte? Können die Menschen hier überhaupt selbstständig denken? Natürlich! Und wenn sie es bis jetzt noch nicht schafften, Wasserleitungen zu bauen, dann sollten andere Länder ihnen das nicht überstülpen.
Die Menschen aus dem Dorf haben es doch Jahrzehnte trotzdem geschafft, sich zu ernähren und Wasser zu bekommen, sonst würden sie dort gar nicht leben?! Ist der Leidensdruck dieser Menschen nicht einfach zu niedrig, um an ihrem Leben etwas zu ändern?

Gehen wir nun davon aus, das Dorf profitiere von dem Brunnen. Wenn die Hilfsorganisation diesen Brunnen baut ist es nicht gesagt, dass die Menschen wirklich wissen, wie dieser funktioniert, das wird dann sicherlich beigebracht, aber was ist wenn die Weißen abreisen und die Pumpe geht defekt? Wo gibt es Ersatzteile? Wie werden diese eingebaut?
Ich bin mir sicher in einer Umgebung wie Ghana würde der Brunnen nicht weiterbenutzt werden; Warum auch reparieren? Wie überhaupt reparieren? Es ist doch viel einfacher jeden Tag literweise Wasser zu schleppen – das war doch sonst auch so.
Selbst wenn ein Handwerker hier geordert wird, beginnt es ein langes unüberwindbares Procedere:
1. Man kann sich schon als überglücklich schätzen, wenn der (meist ungelernte) Handwerker vor der Tür steht. Dies dauert sicherlich ein paar Monate.
2. Die nächste Hürde wird sein, dass der Handwerker sich das Problem anschaut, vielleicht kann er sich im Entferntesten sogar vorstellen, was und wie es repariert werden soll.
3. Es wird nun ein abstrakter Plan geschmiedet
4. Falls das ghanaische Kommunikationspensum es noch zulässt wird dem Eigentümer des zu reparierenden Etwasses auch noch mitgeteilt, wie man vorgehen könnte.
5. Der Handwerker reist ab, denn erst einmal muss Werkzeug geholt werden.
6. Der Handwerker kommt erst einmal nicht mehr zurück.
7. Wartezeit
Vielleicht kommt er mit Werkzeug zurück, doch meist fallen 80% der Handwerker hier aus dem Rennen...



Wenn wir also über Entwicklungshilfe sprechen reicht es als Helfer nicht, dass man sich gönnerhaft um das Geld kümmert, um für eine Woche wieder gut zu schlafen, sondern dass man schaut, was wirklich hilfreich ist!
Die Top 3 der besten Spenden des store rooms, die sicherlich NICHT hilfreich sind:
1. Ein Swimmingpool!
Sicherlich das erste, was ich kleinen süßen afrikanischen Kindern spenden würde. Gerade, weil es ja durchaus bekannt ist, dass es überall zu viel Wasser in Afrika gibt. Der Spender hat sich wenigstens die Mühe gemacht, ein richtig großes aufblasbares Schwimmbecken zu spenden, damit auch alle Kinder in den ca. 5m Durchmesser Swimmingpool passen!
2. Bücher en masse in Deutsch und Holländisch
Ich frage mich, ob das eine schlechte Anspielung auf die Kolonialzeit ist „Lernt UNSERE Sprache, eure ist zu unkultiviert“.  Ich bin froh, wenn ich die Kinder überhaupt auf Englisch verstehe, wie dann auf Deutsch oder Holländisch?
3. Eislöffel
Ich glaube dazu muss ich nicht viel schreiben  - es fehlen mir die Worte, schon allein, weil keines der Kinder je Milcheis gegessen hat und es womöglich in ihrem Leben nie tun werden.

Die Hilflosigkeit und Ignoranz besteht also auf beiden Seiten! Auf die der Afrikaner, aber auch der Spender!

Bitte versteht mich nicht falsch: Ich unterstütze Entwicklungshilfe, Hilfe für kranke Menschen und hilflose der Gesellschaft, die in diesen Ländern nicht die Unterstützung bekommen, wie bei uns, und die ihnen zusteht.

Ihr seht mich hier sprachlos über die Denkweise der Menschen und sprachlos über unsere Fortschrittlichkeit...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen