Liebe Leute!
Meine Zeit in Ghana neigt sich dem Ende zu, es gibt noch so
viele Themen, über die ich euch gerne berichten würde, ich verspreche, ich
bemühe mich! Sonst kommen die Einträge einfach, wenn ich auf einer
südafrikanischen Lodge pausiere... ;)
Wir haben hier einen 14h Tag hier plus manchmal eine Stunde
Sport, um nicht als ganze Kugel nach Hause zu kommen und der Kohlenhydratmast
den Krieg zu deklarieren... Ihr seht, es ist etwas wenig journalistische Zeit
eingeplant, ich werde mein Bestes probieren, um euch noch so viel wie möglich
zu erreichen. Als Nächstes – ich gebe mein Ehrenwort – berichte ich euch von
unserem Weihnachten und Silvester!
So, jetzt aber zum Wesentlichen.
Was wäre ein besserer Anlass mir über die Religiosität der
Ghanaer Gedanken zu machen als an einem Sonntag, als Gott ruhte und ich
schrieb.
Religion, insbesondere die christliche Religion, spielt in
Ghana eine überragende Rolle. Dies zieht sich durch alle Bereiche des Lebens. Die
spirituelle Angehörigkeit wird unübersehbar mit riesigen aufgeklebten Sprüchen deklariert,
wie „God is great“, „Jesus my Saviour“, „God bless you“, „Trust in God“.
In Anbetracht der hiesigen Autozustände; verrostete Autos,
die vom Schrotthof in Hintertupfingen vor 30 Jahren verschifft wurden, welche
vor Rost fast auseinanderfallen, aber dennoch außer ein paar geplatzte Reifen verhältnismäßig
wenige Unfälle passieren. Ich kann mir das nur damit erklären, dass in 99% der
Trotros die Fahrgäste beten bevor sie losfahren.
Ich bin mir sicher, nur deshalb kommen die Trotros samt mir
sicher an, deshalb: Trust in God!
Generell wird in Ghana äußerst oft über Glauben gesprochen.
Auffällig sind zum Einen die schon benannten Aufkleber oder Aufschriebe auf den
Hütten, Häusern, Markisen (wenn vorhanden), aber auch Sonntags sind die
churches überfüllt. Von Presbyterians, Baptists, Catholics, usw. ist hier alles
vertreten. Es gibt einen geringen Anteil von Muslimen hier in Ghana, die
meisten leben jedoch im Norden, da sie aus den nordafrikanischen Staaten nach
Ghana immigrierten. Selbst diese zwei Religionen, die sich ja eine gewisse
Reibefläche bieten könnten leben hier in Ghana in Frieden zusammen.
Im Süden vergisst man fast die eigentlichen Naturreligionen
der Afrikaner, diese wurden beinahe ganz vom christlichen Glauben eliminiert.
Nichtsdestominder sind die Ghanaer an ein paar
Naturweisheiten hängen geblieben, die man so nicht mit ihrem Glauben
übereinbringt. Z.B. geht man dienstags nie ins Meer, es besteht die höchste
Wahrscheinlichkeit, nein, Sicherheit, dass man nicht mehr lebendig heraus
kommt. Auch gefischt wird nicht an einem Dienstag, sowieso: Vor dem Fischen
muss ein Chamäleon geopfert werden!
Bei Tod werden rote und schwarze Bänder überall (und damit
meine ich wirklich überall) aufgehängt. Schwarz für die Trauer und Rot um die
Geister vor dem Toten abzuhalten.
Für die Allerhärtesten liegen überall in den Dörfern genug
Eier bereit, es könnte ja sein, dass sie in Rage über einen Mitmenschen
geraten. Dann vergraben sie für diesen Liebsten nach dem traditionellen
Voodoo-Kult ein Ei.
Man sieht also: Christentum und sonstige Religionen sind
hier eng vereint.
Am christlich Auffallendsten sind auch schon die Namen der
Ghaner. Diese gehen von Bless, Justice, Grace, bis hinzu Emmanuel.
Die christliche Einstellung bei den Kindern in unserem
Kinderheim bemerkt daher, dass sie sich wirklich gut mit der Bibel auskennen,
jeden Morgen eine Andacht mit Bibellesung haben und selbst für das
Ferienprogramm erbeten haben, ein Bibelquiz zu machen! Jeder deutsche
Religionslehrer würde diese Kinder dafür adoptieren...
Mit einem überdimensionalen Schmunzeln mussten wir in
unserem Zimmer das Fluchen einer 8 Jährigen mithören: „Holy Ghost send
fire!!!!!!!!“
Verbrennen sie sich die Hand oder es wird Wasser verkleckert
ertönt ein kurzes, knackiges „Jesus“.
Ein „How are you“ wird mit „By God’s Grace“ beantwortet, was
auf atheistisch deutsch so viel heißt, wie
„Mir geht es gut, danke!“.
Selbst die Wasser-Plastiksäckchen, die hier 500ml Flaschen
ersetzen, heißen „EDEN“ oder „Gethsemane“.
Die Verkäufer und Verkäuferinnen, die bei Stau aus ihren
Löchern kommen und zwischen den stehenden Autos ihre Artikel verkaufen, haben
nicht nur Plaintainchips, Rasierer und Zahnbürsten im Sortiment, sondern auch
überdimensionale mittelalterlich interpretierte Jesus-Bilder, auf denen er als
überhöhter Mensch mit einem süßlichen Lächeln und einem rosaweißen
Heiligenschein dargestellt wird, welcher aus einem anderen Winkel in einer
anderen Gestalt erscheint.
Auf Twi gibt es ein besonderes christliches Zeichen. Sobald
man es kennt, erkennt man es überall! Auf Plastikstühlen, Menükarten,
Steinboden, Hauswänden, Logos, Plastiksäckchen, Töpferwaren... Es bedeutet „Gye
nyame“. Nyame ist Gott auf Twi, die meistgesprochenen Sprache in Ghana. Meine
Hausmutter übersetzte es mir mit „only through God“, „except for God“, Gott
allein, was also die Allmacht Gottes
symbolisiert.
Der Glaube ist allgegenwärtig.
Generell leben die Ghanaer in fast totalem Frieden zusammen.
Dies ist für mich persönlich so bemerkenswert, da trotz der Armut und der
sicherlich bestehenden Eifersucht eine äußerst niedrige Kriminalitätsrate
besteht. Die Ghanaer sind auch gegenüber den Weißen zwar nicht ehrlich, weil
sie das Geld – wer könnte es ihnen verübeln – wittern und Wucherpreise
verlangen. Nichtsdestominder: Ich kann mir sicher sein als weiße Frau, die in
jedem Fall die Attraktion ist, in einer dunklen afrikanischen Nacht in einem normalen Dorf weder zum Raubopfer zu
werden, noch zum Vergewaltigungsopfer oder jegliches. Es gibt natürlich Dörfer
oder Stadtteile, von denen man auch weiß, dass sie gefährlich sind.
Das einzige, mit dem ich rechnen muss ist aufgrund meiner
Exotik ständig angeredet, angestarrt und angefasst zu werden, mehr nicht.
In einem Taxi, alleine, wenn mich dann schon einmal die
Panik packt und meine Vorstellungskraft spazieren geht, da der Taxifahrer einen
mir unbekannten„short cut“ über unzivilisierte Wege fährt, ich auf einmal neben
Fabriken vorbeifahre und mein Akku des Handys leer ist, ich mich somit auch
nicht orten kann, fange ich an, den Taxifahrer über seine Kirche auszufragen –
hiermit starte ich mit 98%iger Sicherheit ein langes Gespräch, das den
Taxifahrer in meiner Hoffnung wieder an seine guten Werte erinnern lässt und
mich entspannt, dass dies der richtige Weg ist.
Auf dem Markt, dessen Unordnung und Stress, welchem man
ausgesetzt ist, sich gar nicht vorstellen kann und es für uns schwer ist, uns
Weißen in einem Gewühl von Schwarzen nicht zu verlieren, kann man die
Ehrlichkeit auch nicht übersehen. Man hat auf dem Markt ca. 40cm Platz, man
drängt sich an verschieden Ständen vorbei, die selbst nur 1qm für ihre üppige
Ware zur Verfügung haben, achtet auf die riesigen Bollerwagen, welche die
übermäßigen Lasten schleppen, dazu kommen die 1x0,5m großen Säcke der
Mitmenschen, die sie auch noch vorbeitragen müssen. Ich muss also auf meine
Füße achten, dass diese nicht an einem herausstehenden Stein hängen bleiben,
auf meinen Kopf, meine eigenen Einkäufe, die alle an mir hängen wie an einem
Packesel. So muss ich mich verschwitzt durch die Menschenmenge geradezu boxen
und werde von einer Ghanaerin barsch ermuntert meinen Weg weiterzugehen, wenn
ich mich ein paar Sekunden in einer Verkaufsbucht ausruhen will.
Gerade dann in dieser Situation kommt eine Ghanaerin auf
mich zu und fragt mich auf Twi, ob ich Geld in meiner Hosentasche habe.
Blitzschnell denke ich mir „was für eine dreiste Art zu betteln!“ bis ich
merke, dass sie mir sagen will, ich solle das Geld aus der Hosentasche
herausholen, da man in dem Gewühl nie wüsste, wer eine nicht-autorisierte Hand
in die Hosentasche gleiten lässt.
In Accra kam eine Marktverkäuferin, die umgerechnet am Tag vielleicht 3 Euro für
ihre Familie verdient, zu meiner Mitvolontärin, um sie auf ihre offene Tasche
aufmerksam zu machen, dass nichts hinausfalle. Es ist wirklich bemerkenswert.
Wo es Schatten gibt, da gibt es auch Licht. So auch hier in
Ghana.
Nicht umsonst nennt man es die 3. Welt, auch wenn dieser
Begriff neuerdings politisch unkorrekt ist, worüber man sich streiten kann.
Wie in vielem ist Ghana hinterher und so kann ich mir den
Teil der Religiosität nicht leugnen, der mir etwas suspekt scheint, denn in
vielen Dingen komme ich mir vor, als wäre ich in einer Zeitkapsel in das Mittelalter
gereist.
Sei die Gegend noch so arm, die Hütten noch so strohig, der
Lebensstandard noch so niedrig, man kann sich sicher sein, dass man die Kirche
überall herausragend erkennt. Es wird jegliches Geld benutzt, um die Kirche zu
bauen. Die kommen nicht an den Prunk und Protz der Kirchen im Mittelalter
heran, aber das hängt wohl eher damit zusammen, dass die Gemeinden alle
zerstückelt und autonom existieren und somit nicht so viel Geld zusammenkommt.
Ich habe sogar gehört, dass es hier die modernere Form der
Ablassbriefe existieren, nämlich die Heilungsbriefe. Priester nehmen gerne auch
Geld dafür, dass sie Menschen die Hände auflegen und sie heilen. Dafür geben
sie sogar ihr Geld aus, was sie für den ausgebildeten Arzt bräuchten.
In der church wird nicht kürzer als kniefrei getragen, nur
für die Obrunis wird eine Ausnahme gemacht...
Jegliches wird mit Gott in Verbindung gebracht. Wenn etwas
Schlimmes passiert, ist das sicherlich die Strafe für eine Tat, die gestern
ausgeführt wurde.
Alles in Allem: Was mir anfangs als Heuchlerei vorkam
erscheint mir jetzt durchaus als ehrlich. Der Glaube wird in jede Tätigkeit
involviert. Überall ist Gott präsent und 99% ist auch in der Tat gläubig.
Allgemein fragen sich die Ghanaer, warum WIR Europäer nicht
mehr gläubig sind. Wir brachten die
Religion nach Afrika, jetzt müsste es umgekehrt sein, meinen sie.
Wo sie Recht haben...
Ich habe mich jetzt schon an diese allgemeine Gläubigkeit
gewöhnt und werde sicherlich schockiert in der atheistischen deutschen Welt
ankommen! J