Sonntag, 3. Februar 2013

Hummeldumm reloaded 2.0


Ich hatte ja schon so eine Vorahnung, als wir uns vor einem Jahr für eine Safari entschieden. Voll Vorfreude und dem vollen Bewusstsein, welch privilegierte Tochter - man kann auch sagen verwöhnte Göre - ich bin, mit meiner Mutter so eine riesige Reise antreten zu dürfen. Nun gut.
Die Vorahnung wurde mir durch das humoristische Meisterwerk „Hummeldumm“ von Thomas Jaud gefüttert (wobei ich den Vorgänger „Millionär“ des gleichen Autors für noch empfehlenswerter empfinde, wenn man es mit der Intension liest, sich abends im Bett vor Lachen zu kringeln.). Ich hoffte natürlich, dass mein Aufenthalt in diesem paradiesischen Teil der Erde doch nicht ganz so mitleidungswürdig ist wie der des Protagonisten Matze.
Schnell zu meinem eigenen Hummeldumm à la Springers.
Die Reise beginnt am Frankfurter Flughafen. Ich kann mich schon schlecht auf meine mal wieder zu optimistisch einkalkulierte Urlaubslektüre konzentrieren, da ich von meiner tiefen Neugier und detektivistischen Entdeckergeist geritten werde, meine mitreisenden Safaristen zu identifizieren. Die Trefferquote liegt bei ca. 65%. Gar nicht mal so übel für die erste Safari. Jeder wird erst einmal für verdächtig befunden, der über der Blütezeit der 55er Jahresgrenze liegt, wenn möglich grauhaarig, etwas besser situiert wirkt,  eher das Gegenteil von abenteuerlustig und vor Allem ein spießiges Abziehbild eines Forschers darstellt. Nun gut, nicht alle der 22 Safaristen passt in dieses Bild; Meine holde Mutter und ich bestätigen zum Beispiel nicht alle Vorurteile.
Angekommen in Johannesburg strömen wir mit allen Ankömmlingen zur Passkontrolle. Nun, ein äußerst gebildeter Mensch pflegte zu sagen: Nur die toten Fische schwimmen mit dem Strom, was in diesem Fall gar nicht verkehrt ist. Mit der mir schon bekannten afrikanischen Freundlichkeit werden wir nach 30 Minuten Warten und sekündlichem Handtaschen-auf-Boden-Vorschieben dezent darauf aufmerksam gemacht, dass wir an der falschen Passkontrolle sind, denn wir müssen ja noch weiter nach Namibia. Wie gut, dass wir uns dann nicht zu „Foreign Passports“ anstellen müssen.
Ich bin schon zufrieden, dass uns das niemand mit einem Kopfzischer und dazu passenden „Ssssssss“  zu Verstehen gibt, wie ich das in Ghana gewohnt bin. Durch dunkle, verlassene, nicht endende Gänge laufen wir zur nächsten Passkontrolle mit einem österreichischen Ehepaar.
Meine Mutti schon wieder sichtlich in Stress,  was der Ruf der afrikanischen Check-In-Tante „Rrrrrun! Rrrrrrun!“ nicht verbessert.
Hui, wenn das eine Afrikanerin sagt, muss das etwas heißen, denke ich mir. Ein halbes Jahr Ghana färbt jedoch ab, meine Freunde. Alles ganz realxed! Wird schon nicht ohne uns starten, der Flieger. Meine Mutter, die diese Prägung nicht erleben durfte befürchtet anderes und rennt schnurstracks durch den Security-Check. Verdattert stehen alle Menschen da -das österreichische Senioren-Ehepaar, welches uns begleitet, und ich eingeschlossen- und schauen ihr nach. Sichtlich unangenehm berührt versuche ich meine Stimme nicht zu sehr zu erheben, rufe ihr doch hinterher, dass wir den Sicherheits-Check nicht vernachlässigen dürfen.  „We have to do it fast!!!“ ruft sie dem Sicherheitspolizisten zu während sie wieder den Rückwärtsgang einlegt. Dieser zu überfordert, um eine angemessene Antwort parat zu haben repliziert „Yes, you have to hurrrrry up!“. Meine Mutter denkt, das sei der Freischein zum Passieren, schmeißt ihre Tasche auf das Laufband und rennt mit Winterjacke, Rucksack auf dem Rücken, durch den Piep-Bogen. Verwirrung ist nun so weit gestiftet, dass die Sicherheitsbeamten noch nicht einmal die Wasserflasche und die zwei deutschen Äpfel herausfischen können. Spätestens jetzt wünsche ich mir für ein paar Sekunden schwarz zu sein. Wir rennen nun durch den halben Johannesburger Flughafen, wobei genau genommen meine Mutter rennt und ich eher laufe.
Das Boarding hat noch nicht einmal angefangen – so viel dazu!

Die Gruppe scheint mir erst einmal etwas lahm und langweilig, wird wohl doch nichts mit Hummeldumm-Nacherleben. Ich weiß hier jedoch noch nicht, was ich später weiß.
Der erste Tag einer fantastischen Reise beginnt mit einer kleinen Stadtrundfahrt durch Windhoek, der Hauptstadt Namibias, die den Anschein von Las Vegas hat: In einer kompletten Öde und wüstenartigen Umgebung sprießt plötzlich eine florierende Stadt heraus, deren Asphalt vor Hitze und Trockenheit fast schmilzt.
Namibia scheint ganz anders als Ghana. Viele Weiße, ein kleines zusammengewürfeltes Europa mit schwarzen Bediensteten, um es übertrieben zu sagen. Weiße scheinen hier fast schon die maximal pigmentierte Bevölkerung zu übervölkern, ich erfahre aber später, dass die Weißen nur 0,6% der Gesamtbevölkerung Namibias darstellen. Ich glaube nur Statistiken, die ich selber gefälscht habe, bin mir also noch nicht sicher, ob ich dieser Zahl glauben kann. Chinesen sind hier die unwillkommenen Gäste. Sie bedienen sich 10% der Statistik, man sieht sie aber kaum, da sie nur arbeiten, doch zu allem Übel das ganze Geld an chinesische Firmen geht, sowie das minimale Arbeitnehmergehalt. Unliebsam benannt „Parasiten“.
So viel zur ersten namibischen Landeskunde.

Schon schnell kristallisiert sich mein Favorit unter meinen doch offensichtlich älteren Mitreisenden. Dieser gute alte Herr, welcher mich mit seinem Humor sehr an meinen eigenen Opi erinnert.  Ein spitzbübiger Rentner mit ostdeutschem Akzent, dazu stolzer Besitzer einer Sonnenschutzkappie mit der Aufschrift „Ich bin Pensionär, da hab' ich keine Zeit mehr“. Er ist etwas kleiner als ich, findet aber, dass er die Mindestmasse einhält und hat auf jede noch so komische wie auch aussichtslose Situation ein noch viel komischeren Kommentar. Er gehört zu der Gruppe Mensch, bei der ich schon grinse, wenn nicht lache, wenn ich ihn schon sehe, weil ich genau weiß, dass er jetzt einen Klops nach dem anderen raushaut. Er läuft hier täglich mit einem T-Shirt von Ho Che Nim rum, ein chinesisches Vorbild, außer Acht lassend, dass Chinesen in Namibia so gern gesehen sind wie Kobras, aber das ist ihm egal. Ich weiß seinen Namen immer noch nicht, er ist aber auch der Typ für keinen Namen, denn keiner würde ihm gerecht werden. Ich nenne ihn aber mal Helmut, das ist für weitere Erzählungen einfacher.
Die Gruppe ist bunt zusammengemischt. Viele Ehepaare, die schon auf der ganzen Welt waren.
Eine flippige unabhängige Italienerin, eine geschiedene Frankfurterin, mit hessischem Akzent, ein zum knuddelnder Chemie-Forscher, mit dem ich schon mit meinen nicht existierenden Chemie-Kenntnisse über die Atomendlagerung fachsimpelte, samt seiner domestizierenden Ehefrau, die aber entschieden etwas gegen die Domestizierung von Raubkatzen hat und deshalb unseren Besuch bei Geparden boykottierte.
Viele mehr, das werdet ihr im Verlauf meiner hoffentlich vielen Geschichte merken.

Kinners! Es ist schon spät, heute eine Wanderung auf Dünen gemacht, durch einen Canyon gelaufen, mit dem Schock gelebt den ganzen Geldbeutel verloren zu haben...

Hiermit schon ein kleiner Vorgeschmack auf den folgenden Blogeintrag! Schlaft gut.

Donnerstag, 17. Januar 2013

Religiösität der ghanischen Bevölkerung


Liebe Leute!
Meine Zeit in Ghana neigt sich dem Ende zu, es gibt noch so viele Themen, über die ich euch gerne berichten würde, ich verspreche, ich bemühe mich! Sonst kommen die Einträge einfach, wenn ich auf einer südafrikanischen Lodge pausiere... ;)
Wir haben hier einen 14h Tag hier plus manchmal eine Stunde Sport, um nicht als ganze Kugel nach Hause zu kommen und der Kohlenhydratmast den Krieg zu deklarieren... Ihr seht, es ist etwas wenig journalistische Zeit eingeplant, ich werde mein Bestes probieren, um euch noch so viel wie möglich zu erreichen. Als Nächstes – ich gebe mein Ehrenwort – berichte ich euch von unserem Weihnachten und Silvester!
So, jetzt aber zum Wesentlichen.

Was wäre ein besserer Anlass mir über die Religiosität der Ghanaer Gedanken zu machen als an einem Sonntag, als Gott ruhte und ich schrieb.

Religion, insbesondere die christliche Religion, spielt in Ghana eine überragende Rolle. Dies zieht sich durch alle Bereiche des Lebens. Die spirituelle Angehörigkeit wird unübersehbar mit riesigen aufgeklebten Sprüchen deklariert, wie „God is great“, „Jesus my Saviour“, „God bless you“, „Trust in God“.
In Anbetracht der hiesigen Autozustände; verrostete Autos, die vom Schrotthof in Hintertupfingen vor 30 Jahren verschifft wurden, welche vor Rost fast auseinanderfallen, aber dennoch außer ein paar geplatzte Reifen verhältnismäßig wenige Unfälle passieren. Ich kann mir das nur damit erklären, dass in 99% der Trotros die Fahrgäste beten bevor sie losfahren.
Ich bin mir sicher, nur deshalb kommen die Trotros samt mir sicher an, deshalb: Trust in God!
Generell wird in Ghana äußerst oft über Glauben gesprochen. Auffällig sind zum Einen die schon benannten Aufkleber oder Aufschriebe auf den Hütten, Häusern, Markisen (wenn vorhanden), aber auch Sonntags sind die churches überfüllt. Von Presbyterians, Baptists, Catholics, usw. ist hier alles vertreten. Es gibt einen geringen Anteil von Muslimen hier in Ghana, die meisten leben jedoch im Norden, da sie aus den nordafrikanischen Staaten nach Ghana immigrierten. Selbst diese zwei Religionen, die sich ja eine gewisse Reibefläche bieten könnten leben hier in Ghana in Frieden zusammen.
Im Süden vergisst man fast die eigentlichen Naturreligionen der Afrikaner, diese wurden beinahe ganz vom christlichen Glauben eliminiert.
Nichtsdestominder sind die Ghanaer an ein paar Naturweisheiten hängen geblieben, die man so nicht mit ihrem Glauben übereinbringt. Z.B. geht man dienstags nie ins Meer, es besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, nein, Sicherheit, dass man nicht mehr lebendig heraus kommt. Auch gefischt wird nicht an einem Dienstag, sowieso: Vor dem Fischen muss ein Chamäleon geopfert werden!
Bei Tod werden rote und schwarze Bänder überall (und damit meine ich wirklich überall) aufgehängt. Schwarz für die Trauer und Rot um die Geister vor dem Toten abzuhalten.
Für die Allerhärtesten liegen überall in den Dörfern genug Eier bereit, es könnte ja sein, dass sie in Rage über einen Mitmenschen geraten. Dann vergraben sie für diesen Liebsten nach dem traditionellen Voodoo-Kult ein Ei.
Man sieht also: Christentum und sonstige Religionen sind hier eng vereint.

Am christlich Auffallendsten sind auch schon die Namen der Ghaner. Diese gehen von Bless, Justice, Grace, bis hinzu Emmanuel.
Die christliche Einstellung bei den Kindern in unserem Kinderheim bemerkt daher, dass sie sich wirklich gut mit der Bibel auskennen, jeden Morgen eine Andacht mit Bibellesung haben und selbst für das Ferienprogramm erbeten haben, ein Bibelquiz zu machen! Jeder deutsche Religionslehrer würde diese Kinder dafür adoptieren...

Mit einem überdimensionalen Schmunzeln mussten wir in unserem Zimmer das Fluchen einer 8 Jährigen mithören: „Holy Ghost send fire!!!!!!!!“
Verbrennen sie sich die Hand oder es wird Wasser verkleckert ertönt ein kurzes, knackiges „Jesus“.
Ein „How are you“ wird mit „By God’s Grace“ beantwortet, was auf atheistisch deutsch so viel heißt, wie  „Mir geht es gut, danke!“.

Selbst die Wasser-Plastiksäckchen, die hier 500ml Flaschen ersetzen, heißen „EDEN“ oder „Gethsemane“. 
Die Verkäufer und Verkäuferinnen, die bei Stau aus ihren Löchern kommen und zwischen den stehenden Autos ihre Artikel verkaufen, haben nicht nur Plaintainchips, Rasierer und Zahnbürsten im Sortiment, sondern auch überdimensionale mittelalterlich interpretierte Jesus-Bilder, auf denen er als überhöhter Mensch mit einem süßlichen Lächeln und einem rosaweißen Heiligenschein dargestellt wird, welcher aus einem anderen Winkel in einer anderen Gestalt erscheint.

Auf Twi gibt es ein besonderes christliches Zeichen. Sobald man es kennt, erkennt man es überall! Auf Plastikstühlen, Menükarten, Steinboden, Hauswänden, Logos, Plastiksäckchen, Töpferwaren... Es bedeutet „Gye nyame“. Nyame ist Gott auf Twi, die meistgesprochenen Sprache in Ghana. Meine Hausmutter übersetzte es mir mit „only through God“, „except for God“, Gott allein,  was also die Allmacht Gottes symbolisiert.
Der Glaube ist allgegenwärtig.

Generell leben die Ghanaer in fast totalem Frieden zusammen. Dies ist für mich persönlich so bemerkenswert, da trotz der Armut und der sicherlich bestehenden Eifersucht eine äußerst niedrige Kriminalitätsrate besteht. Die Ghanaer sind auch gegenüber den Weißen zwar nicht ehrlich, weil sie das Geld – wer könnte es ihnen verübeln – wittern und Wucherpreise verlangen. Nichtsdestominder: Ich kann mir sicher sein als weiße Frau, die in jedem Fall die Attraktion ist, in einer dunklen afrikanischen Nacht  in einem normalen Dorf weder zum Raubopfer zu werden, noch zum Vergewaltigungsopfer oder jegliches. Es gibt natürlich Dörfer oder Stadtteile, von denen man auch weiß, dass sie gefährlich sind.
Das einzige, mit dem ich rechnen muss ist aufgrund meiner Exotik ständig angeredet, angestarrt und angefasst zu werden, mehr nicht.
In einem Taxi, alleine, wenn mich dann schon einmal die Panik packt und meine Vorstellungskraft spazieren geht, da der Taxifahrer einen mir unbekannten„short cut“ über unzivilisierte Wege fährt, ich auf einmal neben Fabriken vorbeifahre und mein Akku des Handys leer ist, ich mich somit auch nicht orten kann, fange ich an, den Taxifahrer über seine Kirche auszufragen – hiermit starte ich mit 98%iger Sicherheit ein langes Gespräch, das den Taxifahrer in meiner Hoffnung wieder an seine guten Werte erinnern lässt und mich entspannt, dass dies der richtige Weg ist.

Auf dem Markt, dessen Unordnung und Stress, welchem man ausgesetzt ist, sich gar nicht vorstellen kann und es für uns schwer ist, uns Weißen in einem Gewühl von Schwarzen nicht zu verlieren, kann man die Ehrlichkeit auch nicht übersehen. Man hat auf dem Markt ca. 40cm Platz, man drängt sich an verschieden Ständen vorbei, die selbst nur 1qm für ihre üppige Ware zur Verfügung haben, achtet auf die riesigen Bollerwagen, welche die übermäßigen Lasten schleppen, dazu kommen die 1x0,5m großen Säcke der Mitmenschen, die sie auch noch vorbeitragen müssen. Ich muss also auf meine Füße achten, dass diese nicht an einem herausstehenden Stein hängen bleiben, auf meinen Kopf, meine eigenen Einkäufe, die alle an mir hängen wie an einem Packesel. So muss ich mich verschwitzt durch die Menschenmenge geradezu boxen und werde von einer Ghanaerin barsch ermuntert meinen Weg weiterzugehen, wenn ich mich ein paar Sekunden in einer Verkaufsbucht ausruhen will.
Gerade dann in dieser Situation kommt eine Ghanaerin auf mich zu und fragt mich auf Twi, ob ich Geld in meiner Hosentasche habe. Blitzschnell denke ich mir „was für eine dreiste Art zu betteln!“ bis ich merke, dass sie mir sagen will, ich solle das Geld aus der Hosentasche herausholen, da man in dem Gewühl nie wüsste, wer eine nicht-autorisierte Hand in die Hosentasche gleiten lässt.
In Accra kam eine Marktverkäuferin,  die umgerechnet am Tag vielleicht 3 Euro für ihre Familie verdient, zu meiner Mitvolontärin, um sie auf ihre offene Tasche aufmerksam zu machen, dass nichts hinausfalle. Es ist wirklich bemerkenswert.


Wo es Schatten gibt, da gibt es auch Licht. So auch hier in Ghana.
Nicht umsonst nennt man es die 3. Welt, auch wenn dieser Begriff neuerdings politisch unkorrekt ist, worüber man sich streiten kann.
Wie in vielem ist Ghana hinterher und so kann ich mir den Teil der Religiosität nicht leugnen, der mir etwas suspekt scheint, denn in vielen Dingen komme ich mir vor, als wäre ich in einer Zeitkapsel in das Mittelalter gereist.
Sei die Gegend noch so arm, die Hütten noch so strohig, der Lebensstandard noch so niedrig, man kann sich sicher sein, dass man die Kirche überall herausragend erkennt. Es wird jegliches Geld benutzt, um die Kirche zu bauen. Die kommen nicht an den Prunk und Protz der Kirchen im Mittelalter heran, aber das hängt wohl eher damit zusammen, dass die Gemeinden alle zerstückelt und autonom existieren und somit nicht so viel Geld zusammenkommt.
Ich habe sogar gehört, dass es hier die modernere Form der Ablassbriefe existieren, nämlich die Heilungsbriefe. Priester nehmen gerne auch Geld dafür, dass sie Menschen die Hände auflegen und sie heilen. Dafür geben sie sogar ihr Geld aus, was sie für den ausgebildeten Arzt bräuchten.
In der church wird nicht kürzer als kniefrei getragen, nur für die Obrunis wird eine Ausnahme gemacht...
Jegliches wird mit Gott in Verbindung gebracht. Wenn etwas Schlimmes passiert, ist das sicherlich die Strafe für eine Tat, die gestern ausgeführt wurde.


Alles in Allem: Was mir anfangs als Heuchlerei vorkam erscheint mir jetzt durchaus als ehrlich. Der Glaube wird in jede Tätigkeit involviert. Überall ist Gott präsent und 99% ist auch in der Tat gläubig.
Allgemein fragen sich die Ghanaer, warum WIR Europäer nicht mehr gläubig sind.  Wir brachten die Religion nach Afrika, jetzt müsste es umgekehrt sein, meinen sie.
Wo sie Recht haben...

Ich habe mich jetzt schon an diese allgemeine Gläubigkeit gewöhnt und werde sicherlich schockiert in der atheistischen deutschen Welt ankommen! J

Ungerechte Welt?


Jeden Morgen neu stehe ich vor diesem mir subjektiv überdimensionalen Rätsel: Wie geht das?
Ich spreche hier von der anscheinend nicht miteinander in Bezug stehenden Physiognomie und sehr kohlenhydratreichhaltigen Essensweise der Ghanaer.

Es gibt in Ghana nur 3 Sorten Brot: Weißbrot mit viel Zucker, genannt Teabread, dann Weißbrot mit noch mehr Zucker, genannt „sugar bread“, und dann das Weißbrot mit ganz viel Zucker und Kakao, genannt „chocolate bread“. Wir in unserem Kinderheim haben die Möglichkeit zur Wahl zwischen ersterem und zweiterem Weißbrot. Ich habe mir in der Zwischenzeit schon angewöhnt, nicht mehr diesen Kohlenhydrathaufen in mich aufzunehmen, der zwar weich und akzeptabel im Geschmack ist, jedoch ich im Gegensatz zu den Einheimischen die markanten Folgen zu tragen habe.
Ich habe das Gefühl es sind nicht nur Kohlenhydrate enthalten, was ja schon schlimm genug ist, in diesem Brot sind eindeutig Dickmacher!
Dazu gibt es immer einen Porridge, welcher natürlich auch mit viel Zucker verfeinert wurde oder einen Tee oder Milo (der gepanschte Kakao).
Zu dem Tee oder Milo steht jederzeit eine Dose mit „Milch“ zur Verfügung, eigentlich die fetteste Sahne, die man sich vorstellen kann, in Ghana nennt man es aber Milch. In jedem Laden, wenn ich mal wieder lechzend auf Milch bzw. Eiweißjagd bin und ich nach Milch frage versucht mir jeder diese Sahne in der Blechdose schmackhaft zu machen. Es hilft nur manchmal, dass ich ihnen mehrfach sage, ich würde gerne die Milch „from the fridge“, wenn das nicht hilft „from the cow“ und wenn selbst das nicht hilft muss ich auch noch die Kuhgeräusche verbalisieren.
Es kommt sicherlich ein „Oh, sorry, we run out of milk!“. Jaja, sie runnen immer out of allem!
Ich bekomme dann im besten Fall Sojamilch – ist ja fast dasselbe.

Jedenfalls scheint mir alles, was die Europäer fett macht hier nicht anzusetzen. So viel Reis wie ich in den letzten 5 Monaten gegessen habe, habe ich in meinem kompletten Leben noch nicht vertilgt, nur leider versteht mein Stoffwechsel den Ortswechsel noch nicht.

Mir kommt es so vor, als wäre die komplette Biochemie der Schwarzen auf Kohlenhydrate ausgelegt und der Stoffwechsel nur durch diese Nahrung angeregt.

Alle Männer haben einen Sixpack, wenn nicht eight oder ten pack. Die Kinder, sogar die kleinsten Mädchen haben solche Bauchmuskeln, dass es sogar Arnold Schwarzenegger Angst machen sollte.
Der Sozialarbeiter, der eher ein schmächtiger Typ, jedoch trotzdem repräsentativ für Ghanaer ist, schaufelt am meisten „Milch“ in sich rein -das in das Glas schütten scheint bei ihm in Zeitlupe abzulaufen. Die einzige Sportart, die er macht ist Fußball, jedoch auch das nicht regelmäßig, immer mal wieder mit den Kindern. Mir sind schier die Augen ausgefallen, als wir ihn abends wegen des Tankschlüssels aus dem Bett klopfen mussten, ich ihn in einem weißen Unterhemd sah. Ein Körper wie ein „V“. Michael Phelps wäre neidisch! Wie sie Muskeln aufbauen ist die eine Sache, Fakt ist, dass kein Gramm Fett darauf sitzt!

Auf die Frage, die ich einem 17-Jährigen Junge im Kinderheim stellte, wie es möglich sein kann, dass er solche Muskeln hat wie ein deutscher Gleichaltriger, der mindestens 5 Mal die Woche ins Fitnessstudio pumpen geht, meinte er: „I drink water!“.
Ich dagegen würde immer nur Cola und Fanta und Sprite trinken, deshalb hätte ich nicht solche Mördermuskeln wie er. Wie gut, dass er sich hierbei keinen Vorurteilen der Amerikaner bedient. Ich antworte nur: „Ah, thank you, you helped me a lot, now I know“. Gegen diese Dorfweisheiten habe ich schon den Kampf aufgegeben und lächle heroisch. Und zum Glück verstehen Ghanaer prinzipiell keine Ironie.
Apropos Ironie.
Auf die oftgestellte Frage bzw. Aufforderung: „I marry you“ antworte ich manchmal: „sure, I’d love to. When is the date?“. Dies ist zu viel Ironie auf einem Haufen und nur mit so etwas kann man die Ghanaer verblüffen und damit für mehrere Sekunden ruhigstellen und das dann zur Flucht benutzen.
Zurück zum eigentlichen Thema.

Der ehemalige Volontär hat mir das evolutionstechnisch erklärt. Die Schwarzen haben sich so an ihre Umgebung angepasst, dass jedes Gramm Fett nicht angesetzt wird, weil es dann wiederum erhitzt. Zum Beispiel hat hier fast niemand Haare auf den Armen! Die Kinder sind von unserem weißen „Flaum“ ganz hypnotisiert.
Ungerecht ist auch, dass wenn das Fett bei älteren Damen ansetzt, so setzt es am Allerwertesten und an der Oberweite an, und NUR DA! Ungerechte Welt!

Es könnte einem ja ganz ungerecht vorkommen, wenn man das so beobachtet.
Dabei bedenke ich dann aber ein Gespräch mit einer Hausmuttergehilfin, die meinte, sie bemitleidete die Weißen, da wo immer sie auch hinkommen, sie nicht mittanzen könnten, die Schwarzen dagegen könnten überall auf der Welt tanzen. Ich antwortete nur trocken: „Weil alles auf der Welt um Tanzen geht, hast du sogar Recht“.


Ich denke mir nur: Man kann nicht alles haben...